2.3       Wie Vollgeld in Umlauf kommt. Originäre Seigniorage und Zinsseigniorage

Vollgeld kommt auf folgende Weise in Umlauf. Im ersten Schritt wird das neue Geld geschöpft, indem die Zentralbank es auf einem dafür vorgesehenen Konto des Finanzministeriums als originäre Seigniorage gutschreibt. Originäre Seigniorage entspricht dem historischen Schlagschatz oder Münzgewinn und besteht in der Differenz zwischen der Kaufkraft einer Geldeinheit und ihren Produktions- und Bereitstellungskosten. Die Münzproduktion ist relativ teuer. 1-2-Cent-Münzen kosten bald so viel wie man damit kaufen kann. Banknoten kosten pro Stück nur etwa 10–15 Cent. Die elektronische Erzeugung unbaren Geldes kostet so gut wie nichts, aber natürlich fallen auch hier Verwaltungs- und Bereitstellungskosten an, obschon in relativ geringer Höhe.

Bei situativ gegebenem Bedarf ist es weiterhin möglich, neues Vollgeld auch direkt durch verzinslichen Kredit an Banken auszugeben. Der langfristige und größere Teil neu geschöpften Geldes sollte durch originäre Seigniorage über Staatsausgaben in Umlauf kommen, der jeweils kurzfristige und geringere Teil kann ggf auch durch Darlehen an Banken in Umlauf gebracht werden. 

Auf beiderlei Weise hätte die Zentralbank die Geldmenge unter voller Kontrolle, und auch die öffentliche Hand käme so immer noch in den vollen Genuss des Geldschöpfungsgewinns, sei es als originäre Seigniorage oder als Zinsgewinn. Allerdings macht die Geldausgabe per Kredit an Banken den Gemeinwohl-Nutzen einer schuldenfreien Geldbasis und ihrer Erstverwendung durch öffentliche Ausgaben ein Stück weit zunichte. Zudem ist es so, dass in Epochen hohen Wachstums die Seigniorage höher ausfällt als der Zinsgewinn, während umgekehrt in Epochen mit niedrigem oder keinem Wachstum der Zinsgewinn höher wird als die Seigniorage – und in solchen Epochen kommt die Problematik des Zins- und Zinseszinsmechanismus umso stärker zum Tragen.

Soweit das Geld durch originäre Seigniorage emittiert wird, entstünde nach bisheriger Bilanzierungspraxis als Aktivum der Zentralbank eine Forderung an die Regierung (in Deutschland als 'Forderung gegen den Bund' oder auch '…gegen Bund und Länder') und als Passivum eine Verbindlichkeit, die nichts anderes repräsentiert als die in Umlauf gebrachten Gelder. Die Forderung ist freilich unbefristet und zinsfrei. Bankkaufmännisch könnte man sagen, bei diesen Forderungen handle es sich um einen unbefristeten zinslosen Kredit, gleichsam Permakredit. Als Passivum sollte statt einer Verbindlichkeit eine Aufstockung des monetären nationalen Eigenkapitals gebucht werden. Es gibt auch Buchungsansätze, bei denen die emittierten Bestände an Bargeld und Buchgeld generell außerhalb der Zentralbankbilanz geführt werden (wie heute die Münzen). Nur die nicht-geldschöpfenden Transaktionen finden hier Eingang in die Zentralbankbilanz. Möglicherweise wäre damit, wie in England seit 1844, eine Aufgliederung der Zentralbank und ihrer Bilanz in ein 'issue department' und ein 'banking department' verbunden. Das sind technische und institutionelle Varianten, die an der Sache selbst im wesentlichen nichts ändern.

Nur noch der Zentralbank wird es als Monetative vorbehalten sein, Geld frei 'aus dem Nichts' zu schöpfen. Die damit verbundene Bringschuld besteht in einer Vollgeldordnung jedoch weniger darin, den Kredit irgendwann vielleicht einmal zu tilgen, als vielmehr, fortlaufend ein Wirtschaftsprodukt zu erstellen, das der betreffenden Geldmengenprojektion entspricht, egal ob es dabei um weiteres Wachstum oder einen Erhaltungszustand geht.

Der Zentralbankrat wird über die laufende Geldschöpfung und die Kanäle der Erstverwendung des Geldes regelmäßig, vermutlich wie bisher alle zwei Wochen beschließen. Hierbei wird die Höhe der Beträge je nach aktueller Lage und längerfristigen Perspektiven diskretionär unterschiedlich ausfallen. Gegebenenfalls kann eine Geldschöpfung und damit Seigniorage auch ausbleiben. Diskretionär heißt eine Geldpolitik, die Entscheidungen an die veränderliche Lage der Real- und Finanzwirtschaft anpasst und dem unabhängigen Urteil der Zentralbankleitung anheimstellt. Das Gegenstück dazu wäre eine regelmechanische Geldpolitik, die keine situativen Freiheitsgrade lässt. 

Der Wert des Geldes, seine Kaufkraft, erwächst aus dem laufend erstellten Wirtschaftsprodukt. Die Hauptmaßgabe für die laufende Erweiterung, oder den Erhalt, oder auch eine Reduzierung der Geldmenge besteht demzufolge im laufend erstellten Wirtschaftsprodukt (Güter und Dienste), nominal und real, genauer gesagt im Produktionspotenzial bei ausgelasteten Kapazitäten. Hauptindikator dürfte dabei weiterhin das BIP sein. In den 1960–80er Jahren, als die Zentralbanken noch Geldmengensteuerung (M1, M2, M3) versuchten, nannte sich ein solcher Ansatz 'potenzialorientierte Geldmengenpolitik'. Unter den Bedingungen des verselbständigten Giralgeldregimes blieb jeder solche Ansatz freilich illusorisch. Unter Vollgeldbedingungen ist eine potenzialorientierte Geldpolitik direkt und effektiv umsetzbar.

Bei einem Übergang von Giralgeld zu Vollgeld wären vor allem die heutige Geldmenge M1 (Bargeld und Giralgeld) sowie die täglich fälligen Interbanken-Giroguthaben zu ersetzen. Nach heutigen Größenordnungen sind das im Euroraum 5.100 Mrd M1 plus etwa 1.400 Mrd Interbanken-Sichtguthaben, zusammen 6.500 Mrd Euro; in Deutschland 1.600 Mrd M1 plus 450 Mrd Interbanken-Sichtguthaben, zusammen 2.050 Mrd Euro. Ein BIP-Wachstums­potenzial von 1 Prozent würde eine Ausweitung der Geldmenge um die 65 bzw 20 Mrd Euro mit sich bringen, 3 Prozent eine Ausweitung um die 195 bzw 60 Mrd Euro.[1] Als originäre Seigniorage wären das die Beträge, die den öffentlichen Kassen direkt zufließen. Bei Ausgabe durch Kredit an Banken entstünde wie heute eine Zinsseigniorage, abhängig vom Zinssatz auf die kreditierten Summen.

Im Rahmen des Europäischen Systems der Zentralbanken würden die Mitgliedsstaaten ihre Seigniorage proportional zu ihrer Bevölkerungszahl und ihrem Bruttoinlandsprodukt erhalten. Eine solche Kombination liegt auch der Aufteilung des Kapitals der EZB auf die einzelnen nationalen Zentralbanken zugrunde (Art. 29.1  der Satzung des Europäischen Systems der Zentralbanken und der EZB).

Ein weiterer Weg, neues Geld in Umlauf zu bringen, liegt in einer nationalen Pro-Kopf-Dividende. Das heißt, das neue Geld würde vom Finanzamt per Kontogutschrift an die einzelnen Bürger ausgezahlt. In Deutschland wären das zuletzt Beträge in der Größenordnung um etwa 500 Euro pro Kopf pro Jahr gewesen.

Im Falle öffentlicher Ausgaben würde das neue Geld für alle jene Zwecke ausgegeben, die öffentlich bezahlt werden - zum Beispiel Erziehung und Bildung, wissenschaftlich-technische Forschung und Entwicklung, Infrastruktur, Umwelt- und Naturschutz, soziale Grundsicherung, Verteidigung, aber auch und nicht zuletzt für Verzinsung und Tilgung der Staatsschuld sowie auch für Steuersenkung. Dort, wo das so ausgegebene Geld eingenommen wird, wird es unmittelbar weiterverwendet für laufende Ausgaben sowie für Rücklagen, Rückstellungen und Investitionen, also für Ersparnis- und Eigenkapitalbildung. Damit kommt das neue Geld unausbleiblich und schnell auch zu den Banken und sonstigen Kapitalsammelstellen, die damit ganz normal wirtschaften, nur ohne eigene Giralgeldschöpfung.

Die Größe der Geldmenge, muss sich, um inflationsneutral zu sein, am realwirtschaftlichen Wachs­tums­potenzial bemessen. Solange die Wirtschaft wächst, muss die Geldbasis vorlaufend mitwachsen. Wenn die Wirtschaft nicht mehr wächst, muss auch die Geldmenge aufhören zu wachsen. Sollte die Wirtschaft eines fernen Tages auf Dauer schrumpfen und es daher nötig sein, dem Kreislauf Geld auf Dauer zu entziehen, ohne dass sich dies durch milde Inflation von alleine regelt, so wäre dies möglich indem man die entsprechenden Summen aus dem laufenden Steueraufkommen abzweigt, an die Zentralbank zurückführt und den Vollgeld-Permakredit damit tilgt, sinngemäß analog zu den heutigen (sehr hohen) laufenden staatlichen Zins- und Tilgungszahlungen. Das sog. Reflux-Prinzip kann auf diese Weise also erfüllt werden. Es wird dies hier erwähnt, um die konzeptionelle Stim­mig­keit des Vollgeldansatzes aufzuzeigen. Im Unterschied zum jetzigen verzinslichen Schuldengeld induziert eine Vollgeldordnung nicht per se einen Wachstumszwang. Vollgeld ist sowohl mit Wachstum als auch mit Niveauerhalt oder Schrumpfung vereinbar.

 

 

 

 

[1] Zahlen ermittelt nach ECB, Monthly Bulletins, tables 2.3 u 2.4-5. Bundesbank, Monatsberichte, Tab. II.2 und IV.2.