Viele Wege führen nach Rom – nicht alle auf dem kürzesten Weg.
Überlegungen zum Chicago Plan Revisited im Vergleich zu einer Vollgeldreform

 1. Einführung

2012 veröffentlichten die IWF-Mitarbeiter Benes and Kumhof ein Forschungspapier mit dem Titel The Chicago Plan Revisited. [1]  Der Chicago plan war einer von mehreren Ansätzen einer 100%-Reserve der 1930er Jahre, heute auch Vollreserve (full reserve) genannt. Die Chicagoer Gruppe von Ökonomen, die hinter dem Plan standen – unter ihnen Henry Simons, Frank Knight, Jacob Viner und der junge Milton Friedman – nannten ihn 100%-banking.[2] Eine ebenso einflussreiche Version wurde von Irving Fisher unter dem Namen 100%-Geld (100%-money) ausgearbeitet. [3] Eine > Diskussion des 100%-Reserveansatzes findet sich auf dieser Website.

Da sich Benes/Kumhof ausdrücklich auf den Chicago Plan beziehen, sollte man annehmen, es handle sich hier um eine weitere Variante dieses Ansatzes. Bei genauerem Hinsehen erscheint die Sache weniger klar. Das Papier beinhaltet ein DSGE Modell dessen, was als Plan einer 100%-Reserve vorgestellt wird. Tatsächlich jedoch unterstellt das Modell die 'Reserven' als liquides Vollgeld, nicht als passivische Deckungsreserve, die von 10% Mindestreserve auf 100% erhöht worden wäre. Von daher erscheint der Ansatz etwas ambivalent, indem er ein aktivisches Vollgeldsystem unterstellt, sich aber der Logik und des Vokabulars einer passivischen Deckungsreserve mit gesplittetem Geldkreislauf nicht entledigt.   

Ich will nun nicht zu sehr darauf insistieren, wie weit das vorgelegte Modell im einzelnen dem ursprünglichen Chicago Plan entspricht, oder doch mehr Fisher's 100%-money, und wie weit das Papier eine Reihe neuer Elemente enthält, die so in den ursprünglichen Ansätzen einer 100%-Reserve nicht vorhanden waren. Ich betrachte das Papier vielmehr in eigenem Recht als einen neuen Beitrag zur Currencylehre und Geldreform. Da die Autorenschaft des Papiers zum größten Teil Michael Kumhof zuzuschreiben ist, und die Autoren betonen, es handle sich um ihre persönlichen Auffassungen, nicht um eine offizielle Position des IWF, spreche ich im folgenden vom Kumhof Plan.       

2. Der Kumhof Plan soll einen Vollgeldansatz repräsentieren, verbleibt aber in der Form und Logik eines Reservesystems mit gesplittetem Geldkreislauf

Die 100%-Reformer der 1930er ließen gewisse operationale Einzelheiten ihrer Pläne im Undeutlichen. Zum Beispiel äußerten sie sich nicht zum Unterschied zwischen liquiden Zahlungsreserven (bisher Überschussreserven genannt) und nicht verfügbaren, brach liegenden Deckungsreserven. Auch der Zusammenhang zwischen der multilateralen Verrechnung von Zahlungen (Clearing) in Giralgeld einerseits und der abschließenden Begleichung der sich ergebenden Salden (Settlement) mit Zahlungsreserven andererseits war nicht systematisch Gegenstand ihrer Betrachtungen. Anscheinend haben sie sich keine sonderlichen Gedanken gemacht über die Bedeutung des gesplitteten Geldkreislaufs des bestehenden fraktionalen Reservesystems, das heißt den Zusammenhang zwischen der Publikumszirkulation (unter Nichtbanken sowie unter Banken und Nichtbanken) auf der Basis von Giralgeld (Bankengeld) und der Interbanken-Zirkulation auf der Basis von Reserven (Zentralbankgeld).

Ein entscheidender Unterschied zwischen einem Reservesystem und einem Vollgeldsystem liegt darin, dass in einem Vollgeldsystem jede Zahlung ausschließlich in Vollgeld verrechnet und endbeglichen wird, gleich ob es sich um eine Zahlung von Banken oder Nichtbanken handelt. Dies bedeutet, dass in der Bilanz des Zahlenden, auch einer Bank, ein Aktiva-Abzug in Gestalt des liquiden Zahlungsmittels stattfindet. Vollgeld besteht anstelle von Giralgeld. In einem Vollgeldsystem kann kein Passivum als Zahlungsmittel dienen (Giralgeld = Kunden-Sichtguthaben als täglich fällige Bank-Verbindlichkeit). Clearing und Settlement nach bisherigen Verfahren kann durchaus stattfinden, jedoch ausschließlich in Vollgeld, also nicht Clearing von Giralgeld und Settlement in Zahlungsreserven.

Der Kumhof Plan weist in dieser Hinsicht einen hybriden Charakter auf. Der Plan sieht '100% Depositendeckung' vor (4) und verlangt, dass 'die Geldverbindlichkeiten der Banken voll durch Reserven gedeckt' sein müssen (6). Die 100%-Reserve gilt für jede Art von Einlage, gleich ob Giroguthaben oder Spar- oder Terminguthaben. Es wird dann jedoch gesagt, dass die Reserven 'hinter' einem Giroguthaben immer und sofort zusammen mit dem betreffenden Guthaben 1:1 an die Empfängerbank übertragen werden müssen.

So funktioniert ein Reservesystem jedoch nicht. Es ist nicht die Giralgeld überweisende Bank, die für die Deckungsreserven sorgen muss. Vielmehr ist es die empfangende Bank, die die Deckung der sich bei ihr ergebenden Giroguthaben nachträglich gewährleisten muss (vgl. > Vollgeld und 100%-Reserve auf dieser Website | vollgeld.de/vollgeld-und-100-prozent-reserve). Kumhof's Absicht geht aber dahin, ein Vollgeldsystem zu implementieren. Das geht unter anderem auch daraus hervor, man solle sich 'den Chicago Plan so vorstellen, dass alles Geld denselben Status wie Münzen besitzt' (7).  

Dies bedeutet zugleich, dass Vollgeld – ob es nun von der Zentralbank oder, wie evtl. in den USA, von einer Geldkommission unter dem Dach des Finanzministeriums kommt – bei seiner Schöpfung Teil des Eigenkapitals dieser Institution ist und bei seiner Inumlaufbringung zum Eigenkapital der jeweiligen Akteure werden kann. Vollgeld stellt keine Verbindlichkeit oder Schuld dar (7). Niemand außer der dazu befugten staatlichen Stelle, in Europa sicherlich die Zentralbanken bzw. die EZB, kann Vollgeld in jeder Form in Umlauf bringen (Münzen, Noten, Kontogeld, E-Geld). Kein anderes Geld ist als allgemeines reguläres Zahlungsmittel zugelassen.  

Im Unterschied dazu versteht man unter Vollreserve normalerweise die Aufstockung einer 2–10prozentigen Depositen-bezogenen Mindestreservepflicht auf 100%. Die Pflichtreserven stellen dabei kein verfügbares Aktivum dar. Sie sind nicht einmal als Sicherheitsnetz gedacht, wie häufig angenommen wird. Sie sollen ein Instrument der Geldpolitik der Zentralbank sein, um die primäre Kreditausstellung und damit Giralgelderzeugung der Banken zu kontrollieren (gemäß der irrigen Reserve Position Doctrine).[4]           

Der Kumhof Plan zielt jedoch auf liquide Zahlungsreserven, nicht brach liegende Deckungsreserven. Freilich wird es zu diesbezüglichen Missverständnissen führen, wenn Benes/Kumhof sagen, alle Banken-Verbindlichkeiten müssten zu 100% durch Vollgeld gedeckt sein (4). Es wäre wohl weniger missverständlich, zu sagen, alles Vollgeld, das eine Bank für ihre Kunden verwaltet, müsse 1:1 als Bank-Verbindlichkeit gegenüber dem Kunden geführt werden, solange beides – das aktivische Vollgeld der Kunden und die passivische Verbindlichkeit – noch im Rahmen der betreffenden Bankbilanz geführt werden. Sobald man dies aber so sieht und so betreibt, was für einen Sinn soll es dann noch haben, 'Depositen' und '100%-Deckungsreserven' auf diese zu führen, und eine Interbanken-Zirkulation mit '100% (Zahlungs-)Reserven' getrennt von der Publikums-Zirkulation mit Giroguthaben, die jedoch kein Bankengeld mehr repräsentieren, sondern Vollgeld sein sollen?

Die Umwandlung nicht-verfügbarer Deckungsreserven in liquides Zentralbankgeld (Vollgeld) bleibt ein implizites Element des Kumhof Plans. Die Autoren legen nicht dar, dass sie den Begriff der 'Reserven' faktisch umdefinieren und sie eine Konversion von Deckungsreserven in Zahlungsreserven unterstellen. Von daher bleibt der Kumhof Plan ambivalent bzw missverständlich, indem er eine Vollgeldordnung intendiert, dabei aber festhält an der obsoleten Logik, Form und Terminologie eines Reservesystems mit gesplittetem Geldkreislauf.

Einfach nur Vollgeld, als liquides Aktivum in Zahlungsmittel-Funktion, genügt vollkommen. Soweit dieses Geld von einer Bank treuhänderisch verwaltet wird, muss es Eigentum der Kunden, nicht der Bank, sein. Dies ist ein weiterer, rechtlicher Aspekt, dem die 100%-Reformer der 1930er keine Beachtung schenkten. Vollgeld im Besitz der Kunden muss außerhalb der Bankbilanz geführt werden. Die hergebrachte Reserveverpflichtung wird dann ersatzlos aufgehoben. 'Depositen' und 'Reserven' im hergebrachten Sinn des Begriffs haben in einer Vollgeldordnung keinerlei Funktion mehr. Das Vollgeld selbst ist das 'Depositum' bzw die 'Reserve'.         

Sofern Geldguthaben der Kunden der jedoch weiterhin in die Bankbilanzen eingehen, kann Vollgeld eigentlich nur 'simuliert' werden, und zwar in der Weise, dass die liquiden Zahlungsreserven (Aktiva) und dementsprechende Sichtguthaben (Passiva) als 'sterilisiertes' Paar 1:1 aneinander gebunden sind. Es muss gesetzlich bestimmt sein, dass die treuhänderisch handelnde Bank für dieses 'sterilisierte' Paar haftet, nicht aber die Kunden für die Bank. Selbst dann jedoch muss man sehen, dass die Kunden ihr Geld weiterhin nicht besitzen, sondern nur einen Anspruch auf Geld gegen die Bank. Eigentümer des Geldes (der Reserven) wären weiterhin die Banken, die damit zugleich eine Verbindlichkeit an die Kunden haben. Eine weitere gesetzliche Regelung müsste sicherstellen, dass die den Geldforderungen der Kunden zugeordneten Reserven im Eigentum einer Bank ggf nicht unter die Konkursmasse einer Bank fallen.

3. Der Kumhof Plan bezieht alle Depositen in M1–M3 ein, nicht nur liquide Sichtgut­haben in M1, schließt aber Darlehen von Nichtbanken an Geldservice-Banken aus

Dem Kumhof Plan zufolge, müssen alle monetären Verbindlichkeiten einer Bank durch Reserven gedeckt sein, also auch Spar- und Terminguthaben, nicht nur jederzeit verfügbare Guthaben (in Europa M1 plus ein kleiner Teil der Sparguthaben; in den USA das verfügbare broad money M2).

Dies ist eine weitere wichtige Komponente des Kumhof Plans, die nur ungenügend erläutert und nur gelegentlich deutlich wird, zum Beispiel durch die Aussage, dass bei Implementierung des Plans die US Reserven auf 180% des US BIP ansteigen würden (61). Das ist eine recht hohe Zahl, die ein Maximum ein Bankverbindlichkeiten einbezieht. Im Vergleich dazu stellt M2 in den USA gegenwärtig 67% des BIP dar, und M1 im Eurogebiet 45% des BIP.[5] Infolge der Einbeziehung aller Depositen fällt die einmalige Übergangs-Seigniorage (wie weiter unten erläutert) im Kumhof Modell sehr hoch aus, mit einem entsprechenden Potenzial zum Abbau des gegenwärtig hohen Schuldenniveaus.

Die meisten Ansätze einer Geldreform beziehen nur jederzeit verfügbare Guthaben ein. Der Grund dafür liegt darin, dass andere Depositen in M2/M3 nicht unmittelbar verfügbar sind und von daher am besten so behandelt werden sollten, als handle es sich um echte Darlehen an eine Bank bzw Geldanlagen bei einer Bank, wie auch Giroguthaben bei Übergang von Giralgeld zu Vollgeld so behandelt werden, als ob sie Vollgeld repräsentieren würden, das ursprünglich von der Zentralbank geschöpft und in Verkehr gebracht worden wäre (und die daher beim Übergang umdeklariert werden aus einer Bank-Verbindlichkeit an Kunden in eine Bank-Verbindlichkeit an die Zentralbank). Im Kumhof Plan sollen dagegen alle heutigen 'irregulären' Depositen umgewandelt werden in 'reguläre' Depositen in einem alten, traditionalen Sinn (wie früher Depositen von Gold- und Silbermünzen, Barren oder Schmuck in einem Safe). 'Reguläre' Depositen in diesem Sinne repräsentieren nicht Forderungen auf Geld, das sich derweil anderswo befindet, sondern sind tatsächliche Gelddepositen, die auf dem Konto, auf das sie einzahlt wurden, jederzeit in voller Höhe vorhanden sein müssen.         

In der Geldreform-Diskussion tritt immer wieder einmal die Frage auf, ob es nicht eine zu große, inflationäre Geldmenge erzeugt, wenn alle Depositen (bis M3) in eine Geldreform einbezogen werden statt nur der real zirkulierenden Geldmenge M1 (plus der Interbanken-Giroguthaben). Die Antwort lautet: nicht unbedingt, und nicht sofort, weil der größte Teil dieser Summen inaktiv ruhen würde. Depositen in M2/M3 (typischerweise Spar- und Termineinlagen) sind von den Einlegern nicht dafür vorgesehen, alsbald ausgegeben zu werden, allenfalls, wenn überhaupt, in weiterer Zukunft. Zwar wird aufs Ganze gesehen fortlaufend ein Teil von M2/M3 aufgelöst, aber andere Sparer tätigen zur gleichen Zeit neue Einlagen. Sollte sich jedoch eine große Zahl von Einlegern aus welchen Gründen auch immer genötigt fühlen, Einlagen in M2/M3 so bald wie möglich aufzulösen, erzeugt dies in jedem Geldsystem Probleme. Im Kumhof Plan würde es keinerlei Bankrun geben, weil das Geld ja vorhanden ist und bar oder als E-Geld ausbezahlt werden kann. Freilich wäre damit zu rechnen, dass ein Teil solcher Guthaben-Massenauflösung eine gewisse Inflation oder Asset Inflation nach sich zieht.

In einem Vollgeldsystem kann das Vollgeld ebenfalls nicht verschwinden. Jedoch gibt es keine Deckung von M2/M3-Geldanlagen, denn man kann nicht Geld verzinslich für etwas investieren und es gleichzeitig behalten. Entstünde ein massenhafter Druck zur Auflösung von M2/M3-Geldanlagen, wäre die Wirkung ähnlich wie bei einem Bankrun, obschon nicht dermaßen dramatisch da in der Zeit nach jeweiligen Fristen gestreckt.

Die 100%-Reserve-Autoren der 1930er schienen anfänglich nicht ganz entschieden gewesen zu sein, ob man M2/M3-Depositen in die Reform einbeziehen sollte oder nicht. Im Laufe der Zeit bezogen sie sich dann deutlich nur noch auf verfügbare Giroguthaben in M1 (demand deposits, checkable deposits). Sie sahen außerdem vor, dass Banken von ihren Kunden Geld aufnehmen konnten, eben in Form von M2/M3-Geldanlagen, die echte kurz- und mittelfristige Darlehen der Kunden an ihre Bank wären, bis zu einer Fälligkeit von zwei Jahren.

Im Kumhof Plan wird dies ausgeschlossen. Jede Übertragung eines Giroguthabens in ein M2/M3-Guthaben müsste unmittelbar durch eine 1:1 Übertragung von Reserven bei identischer Laufzeit gedeckt werden. Kein solches Depositum kann vom Kunden an seine oder eine andere Depositen verwaltende Bank verliehen werden (obwohl Depositen an sog. Investment Trusts verliehen werden können, wie nachfolgend erläutert). Bei einer betreffenden Bank jedoch würden die M2/M3-Depositen brach liegen und wären bis Fälligkeit nicht verfügbar. Was aber, außer der absoluten Sicherheit des Geldes, ist der Nutzen solcher M2/M3-Depositen, wenn diese doch ungenutzt brachliegen, aber von der Depositen verwaltenden Bank gleichwohl verlangt wird, sie solle darauf Habenzinsen zahlen?

Manche Autoren würde eine solche brach liegende Geldhaltung wohl als 'Hortung' betrachten. Diese Begrifflichkeit geht auf Metallgeldwährungen zurück, bei denen Geldhortung eine Verminderung der zirkulierenden Geldmenge bedeutete. Das war für die Wirtschaft schädlich, denn es untergrub das Potenzial geldvermittelter Transaktionen. Mit modernem Zeichengeld verhält sich dies jedoch anders, denn es kann in jeder Höhe 'aus dem Nichts' bereit gestellt werden. Von daher, und leidlich stabile Muster und Trends der Geldnutzung vorausgesetzt, ist Geld halten statt Geld ausgeben heute kein grundlegendes Problem mehr. Gleichwohl sind M2/M3-Depositen im Kumhof Plan so, als würde man große Mengen von Banknoten in einem Safe stapeln und erwarten, dafür auch noch Habenzinsen zu bekommen.      

Kumhof zufolge liegt die Funktion von M2/M3-Depositen nicht darin, als Finanzierungsmittel, sondern als Sicherheiten für Kredit zu dienen. Ohne solche Sicherheiten könne es möglicherweise zu Friktionen kommen. Das bleibt nicht recht nachvollziehbar. Selbst wenn solche Depositen bei einer Bank nicht brach liegend 'deponiert', sondern der Bank zu anderweitiger Nutzung ausgeliehen werden, können die daraus entstehenden M2/M3-Forderungen der Kunden an die Bank doch ebenso gut als Sicherheit dienen. Sie werden vielleicht nicht zu ihrem vollen Wert angerechnet, aber doch zu 80–60% ihres Werts wie Anleihen oder Aktien. Eine Hausbank, die Depositen annimmt, hätte ohnehin keinen guten Grund, diese Einlagen ihren Kunden nicht zum vollen Wert als Sicherheit anzurechnen. 

Darüber hinaus sind 'reguläre' Depositen natürlicherweise nicht zinstragend, da das Depositum nur sicher aufgehoben werden soll, aber nicht anderweitig genutzt werden darf. Dafür hat der Einleger in aller Regel eine Verwahrungsgebühr zu bezahlen, während ihm ein Habenzins nicht gezahlt wird. Auf 'reguläre' Depositen eine Gebühr zahlen müssen und Habenzins gezahlt bekommen, oder nur letzteres, bedeutet eine Begriffsverwirrung und geht im bestehenden Giralgeldregime tatsächlich einher mit einem Fehlverständnis der Funktion von M2/M3-Einlagen. [6] Zinsen kann es in einem funktionalen System nur geben, wenn das Geld anderweitig tatsächliche Verwendung findet und man insoweit ein Risiko eingeht.

Wie im folgenden Abschnitt deutlich wird, kann es im Kumhof Plan Zinsen auf Kundeneinlagen nur geben, wenn das Finanzministerium den Banken Zinsen auf ihre Reserven zahlt.[7] (Dem Finanzministerium wird in amerikanischen Reformansätzen die geld-emittierende Funktion übertragen, die in Europa als klassische Zentralbankfunktion gelten). Was hat ein Szenario zu bedeuten, in dem zusätzliches Geld erzeugt werden muss, um auf einen Geldbestand von um 180% des BIP (M1/M2/M3) einfach so Zinsen zu zahlen? Wie kann man es überhaupt rechtfertigen, Geld zu schöpfen, nur um Zinsen auf Reserven von Banken bzw Depositen von Kunden zu zahlen, obwohl die Reserven bzw Depositen für die Banken nicht nutzbar sind? Und überhaupt: Müssen die Banken auf Reserven, die sie sich leihen, nicht Sollzinsen zahlen? Wieso sollen sie zugleich Habenzinsen darauf bekommen?

4. Wie erhalten Banken im Kumhof Plan 100% Reserven und verleihbare Mittel? Vorgesehene Arten von Banken. Neues Geld als Schuldengeld oder schuldenfreies Geld?  

Die im Kumhof Plan vorgesehenen Banken sind andere als die heutigen Geschäfts- und Investmentbanken. Der Plan beinhaltet die Trennung von zwei Arten von Banken:

a) Banken, die sich auf das Geld- und Zahlungsmanagement spezialisieren. Benes/Kumhof nennen sie einfach Banken. Etwas genauer würde man sie Geldbanken, oder Geldservicebanken nennen. Sie verwalten Kundenkonten und führen den Zahlungsverkehr und Geldwechsel aus, vermutlich einschließlich des Devisenwechsels. Solche Geldservicebanken nehmen weder Geld auf noch verleihen sie welches.  

b) Banken, die sich auf das Kreditgeschäft (Darlehen) spezialisieren und wohl auch Investmentgeschäfte betreiben können. Sie entsprechen den heutigen Geschäftsbanken, teils auch als Investmentbanken. In Anlehnung an Simons und Kollegen aus den 1930ern nennen Benes/Kumhof diese Banken Investment Trusts. Es bleibt jedoch unklar, wie weit sie Investmentbanking im heutigen Sinne betreiben. Im Unterschied zu heutigen Banken handeln die Investment Trusts im Kumhof Plan als reine Geld-Intermediäre, das heißt sie arbeiten auf der Grundlage vorhandenen Geldes, das sie aufnehmen und anderweitig verwenden, ohne selbst Primärkredit und damit Giralgeld erzeugen zu können.

Eine Bankentrennung dieser Art war bereits Teil der 100%-Reservepläne von Simons und Kollegen, Fisher, und später Allais.[8] Sie stellten sich die Geldservice-Funktion als ein 'money warehouse' vor, als eine Art Lager- und Umschlagbetrieb für Geld. Indem sie vom Geschäfts- und Investmentbanking getrennt sind, stellen sie eine neue Art von Spezialbank dar. 

Eine der Fragen, die in den 1930ern offen blieben, war, wie Banken die geforderte 100%-Reserve erwerben sollten. Banken verfügen nicht im erforderlichen Maß über hoch bewertete Sicherheiten, um die Reserven bei der Zentralbank nach hergebrachten Standards aufnehmen zu können. Zunächst hätten die Banken ihre Wertpapiere mit akzeptablem Rating an das Finanzministerium verkauft, bzw an die betreffende Geldkommission unter dem Dach des Finanzministeriums, wie Fisher vorschlug. Verbriefte Kreditforderungen der Banken an die Zentralbank zu übertragen, war kein Thema (und überhaupt sollten Verbriefungen von Kreditforderungen restriktiv gehandhabt werden, da dies eine Unüberschaubarkeit der Risiken mit sich bringt). Die auf diese Weise erlangbaren Reserven wären nicht genug gewesen und so hätte man den Banken einen unbesicherten großen Buchkredit einräumen müssen. In Anbetracht der damit verbundenen Zinslasten, hätte das wohl nicht funktioniert bzw das Zinsniveau sprunghaft nach oben versetzt. So schlug Knight, ein Mitglied der Chicago Gruppe, vor, den Banken die benötigten Mittel sozusagen als zinsfreie Dauerleihgabe zu überlassen. Das war niemandem so recht schmackhaft zu machen, zumal die Banken damals einen so schlechten Ruf hatten wie heute wieder.         

Bei Benes/Kumhof wird die Frage des Reserven-Erwerbs nicht besprochen und auch nicht gelöst. Sie erklären einfach: 'Die Banken leihen sich die erforderlichen Deckungsreserven vom Finanzministerium' (5–6). Aber heute wie damals reichen die Wertpapiere im Besitz der Banken bei weitem nicht aus, um eine 100%-Reserve auf alle Depositen in M1/M2/M3 zu erwerben. Die große Lücke zu 100% müsste den Banken als verzinslicher Buchkredit ausgestellt werden.  

Dies widerspricht allerdings dem Plan selbst, insofern dieser verlangt, dass Geldservicebanken Mittel weder aufnehmen noch verleihen. Es müsste eine Ausnahme gemacht werden. Nur, wie sollten Geldservicebanken die Zinsen auf so hohe Summen bezahlen? Solche Zinszahlungen müssten aus Kundengebühren aufgebracht werden, und das käme die Kunden teuer zu stehen.

Die Umbenennung von Geschäftsbanken in Investment Trusts erinnert an Kotlikoff's Fonds-Modell einer Trennbankenordnung.[9]  Während Kotlikoff aber an eine Vielzahl spezialisierter Fonds denkt, machen sich Benes/Kumhof keine Gedanken darüber, ob ihre Investment Trusts spezialisiert sein sollen, oder gemischte Geschäfts- und Investmentbanken – was in gewisser Weise über reine Geldordnungsfragen auch hinaus geht. 

Im Hinblick auf Trennbanken sind drei Dinge wichtig – erstens sicher zu stellen, dass es keiner Bank rechtlich erlaubt und technisch möglich ist, Primärkredit (und damit Giralgeld) zu erzeugen; zweitens, dass Wertpapier- und Immobilien-Eigenhandel eingeschränkt oder ganz ausgeschlossen sind; drittens, dass Finanzanlagen per Sekundärkredit, also mit bereits vorhandenem Geld getätigt werden, im besonderen, dass verleihbare Mittel der Banken (Investment Trusts) nicht als Bankenkredit in die Aufhebelung von Finanzanlagen fließen. Wenn diese Bedingungen erfüllt sind, und die Funktionen der Geldschöpfung durch die Zentralbank und der Kreditvergabe durch die Banken voneinander getrennt sind, dann ist eine institutionelle Trennung von Banken im Prinzip nicht erforderlich.

In einer Vollgeldordnung werden die Geldkonten der Kunden von den Banken außerhalb ihrer Bilanz geführt, gerade so wie sich auch das Bargeld der Kunden in ihrer eigenen Brieftasche und nicht in der Kasse der Bank befindet. Geldservicebanking ist in einer Vollgeldordnung eine von Kredit- und Investmentbanking automatisch getrennte Funktion. Von daher ist ein Trennbankensystem nicht erforderlich, obwohl möglicherweise entsprechend spezialisierte Banken auftreten.

Die Feststellung, dass Banken die erforderliche 100prozentige Deckungsreserve vom Finanzamt leihen müssen, bezieht sich auf die Geldservicebanken. Im Unterschied dazu stehen Investment Trusts, die verleihbare Mittel aufnehmen müssen, zwei Möglichkeiten offen, um diese zu erlangen. Die erste besteht darin, das Geld von ihren Kunden oder am offenen Markt zu leihen, oder diverse Schuldverschreibungen zu begeben (Sparbriefe, Anleihen o.a.). Die zweite Möglichkeit besteht darin, Geld direkt beim Finanzministerium zu leihen. Im Kumhof Plan ist dies zugleich der einzige Weg, um die Geldmenge zu vergrößern bzw das Geldangebot auszuweiten. Laut Benes/Kumhof war dieses Arrangement bereits 'so vorgesehen in den Regierungsvorlagen des Chicago Plans von Means (1933) und Currie (1934) sowie in einem akademischen Beitrag von Angell (1935)' (18). Was immer man davon hält, ein solches Arrangement gewährleistet jedenfalls die Sicherheit des Geldes als auch eine weit reichende Kontrolle der Geldmenge, und insoweit auch einen mäßigenden Einfluss  auf Inflation, Asset Inflation und Boom- und Krisenzyklen.

Der Kumhof Plan beansprucht, für schuldenfreies Geld zu stehen (5–6). Wenn jedoch der größere Teil der 100%-Reserve der Geldservicebanken vom Finanzminister als Kredit aufgenommen werden muss, und auch alle zusätzlichen Geldmittel von den Investment Trusts beim Finanzminister als Kredit aufgenommen werden, dann repräsentiert diese Geldbasis verzinsliches Kredit- und Schuldengeld. Gewiss wäre hier der Staat primärer Gläubiger, nicht länger Schuldner. Aber die Banken, die das Geld beim Finanzministerium aufnehmen müssen, wären die primären Schuldner. Infolgedessen bestünde fast die gesamt Geldmenge aus Staatskredit und Bankschulden. Nur der geringere Teil der Geldmenge, der bei Umstellung durch Wertpapierverkauf erlangt wurde, wäre schuldenfrei.       

Die sich so ergebende Seigniorage wäre Zinsseigniorage aus primärer Kreditvergabe, im Unterschied zu originärer Seigniorage in Form der Inumlaufbringung neuen Geldes durch öffentliche Ausgaben. Die Option originärer Seigniorage, Geld durch Staatsausgaben schuldenfrei in Umlauf zu bringen, das heißt zins- und tilgungsfrei, scheint nicht Bestandteil des Plans zu sein. Jedoch sagt Kumhof, diese Option stünde offen: 'Es gibt im Chicago Plan eine Reihe von Möglichkeiten, um neues Geld in Umlauf zu bringen, nicht nur Staatskredit. Das Geld kann auch direkt ausgegeben werden, oder, wie heute, durch Offenmarktgeschäfte' (pM, 21).

So gesehen unterscheidet sich das von den meisten anderen der heutigen Geldreformansätze nicht allzu sehr. Selbst wenn nach deren Auffassung der größte Teil der langfristigen Geldmengenausweitung durch schuldenfreie Staatsausgaben (originäre Seigniorage) in Umlauf kommen soll, so bleibt doch die Option, gegebenenfalls einen kleineren Teil kurzfristig durch Primärkredit an Banken zu emittieren. Vermutlich stellt dies nicht nur eine pragmatische Rückfalloption dar, sondern könnte sich auch sonst als nützlicher Bestandteil einer flexiblen Geldpolitik erweisen. Jedoch gilt dies nur für einen geringen Teil des Geldangebots. Im Kumhof Plan würde es sich jedoch um den größten Teil des Geldangebots handeln.      

5. Inumlaufbringung von neuem Geld. Reichweite einer Reform der Geldordnung

Der Kumhof Plan enthält gewisse dirigistische Komponenten. Dies betrifft zum Beispiel die Zwangsverwendung der einmaligen Übergangsseigniorage, wie gleich erläutert, oder die Vorschrift, dass zusätzliches Geld durch Investitionen in Umlauf kommen muss, nicht durch konsumtive Staats- und Privatausgaben. Unabhängig davon, wie fragwürdig solche Vorgaben sind, sollte man sehen, dass sie die Grenzen der Geldordnung überschreiten in Richtung weitergehender Banken- und Kapitalmarktreformen.

Damit stellt sich Frage, wo die Grenzen zwischen Geldreform und Banken- und Finanzmarktreformen darüber hinaus zu ziehen sind, und damit auch die Grenzen zwischen Geldpolitik im eigentlichen Sinn und Banken- und Finanzmarktregulierung darüber hinaus. Zum Beispiel beinhaltet eine Reform der Geldordnung per se eine Trennung der Geldservicefunktion von Kredit- und Investmentfunktionen. Umgekehrt jedoch ist Trennbankenordnung nicht per se Bestandteil einer Geldreform. In ähnlicher Weise haben auch höhere Eigenkapital- und Liquiditätsanforderungen an Banken (Basel III) nichts mit Geldreform zu tun, oder ein Ausschluss außerbilanzieller Risiken, oder die Einführung bzw Erhöhung von Finanztransaktionssteuern.

Der Kumhof Plan gewährleistet, was für jede Currencylehre grundlegend ist: die Trennung von Geld und Kredit, anders gesagt, die Trennung der Schöpfung und Inumlaufbringung des Geldes von seiner weiteren Nutzung in der Finanz- und Realwirtschaft. Dennoch besitzt der Plan eine gewisse Tendenz, die Grenze zwischen Geldschöpfung und Geldnutzung zu verwischen. Damit verbindet sich eine Undeutlichkeit im Hinblick auf die Grenze zwischen Geldpolitik einerseits und Kreditlenkung oder gar einer Zwangsverwendung von Geld andererseits. Werden solche Grenzen systematisch und weitgehend überschritten, käme die Zentralbank oder Geldkommission in eine übermächtige Position, die den Rahmen einer auf Gewaltenteilung und Checks-and-Balances beruhenden liberalen Demokratie und Marktwirtschaft im Sinne von Locke und Montesquieu sprengt.

Es wäre diesbezüglich wünschenswert, ein gewisses Einverständnis zu erzielen, ob und in welcher Weise und welchem Ausmaß eine obligatorische Erstverwendung von Geld zulässig sein kann. Das bezieht sich auf originäre Seigniorage und Primärkredit, nicht auf Sekundärkredit und sonstige Geldverwendung. Sollte jedoch die Kontrolle von Asset Inflation zu einem weiteren offiziellen Ziel der Geldpolitik der Zentralbanken werden, könnte es unter Umständen erforderlich sein, bestimmte Kreditierungsgrenzen für bestimmte Arten von Finanzanlagen zu setzen (sofern Bankenkredit für Finanzanlagen nicht generell untersagt wird).

Der Kumhof Plan erlaubt zusätzliche Kreditgeldschöpfung nur für Investitionskredit und verpflichtet zugleich das Finanzministerium, einer Nachfrage der Investment Trusts nach Mitteln für Investitionskredit jederzeit und in jeder Höhe nachzukommen:   

'Im Chicago Plan … nimmt der Staat den Geld- und Finanzinstituten jede Fähigkeit ... im Zuge der Kreditvergabe ihr eigenes Giralgeld zu erzeugen. Sie müssen stattdessen um Ersparnisse konkurrieren, und die Regierung kann den Umfang des vermittelbaren Geldes durch Anpassung der Geldmenge beeinflussen. Was aber Investitionskredit angeht, behalten die Banken ihr Privileg in gewisser Weise, denn die Regierung muss die Nachfrage der Banken nach Investitionsmitteln bedienen wann immer die Banken mehr Investitionskredit ausstellen wollen' (pM).  -  'Die Banken behalten von daher ein hohes Maß an Kontrolle über das Gesamtvolumen an Investitionskredit' (7).  -  '… der einzig verbleibende Kredit ist Kredit für productive Zwecke' (19). - 'Kredit besteht nur noch als Investitionskredit' (7).  

Der Hintergrund der beherrschenden Stellung des Investitionskredits im Kumhof Plan scheint in der Vorstellung einer bestimmten Sequenz der Inumlaufbringung von Geld zu liegen. Dieser Vorstellung zufolge soll Kredit ausschließlich in 'produktive' realwirtschaftliche Investitionen fließen. Meines Erachtens handelt es sich hier um eine längst obsolet gewordene produktivistische Annahme des 19. Jahrhunderts, ein axiomatischer Teil der (neo-)klassischen und Österreichischen Schulen. Heutigen Gegebenheiten entspricht diese Annahme nicht mehr und die Supply-Side Economics der 1970–80er war in der Tat nur noch eine systemisch einäugige Ideologie.

Die Vorstellung mag in früheren Stadien der Großen Transformation von traditionalen in moderne Gesellschaften plausibel gewesen sein, als die industriellen Produktionskapazitäten noch nicht hinreichend groß und flexibel waren, um der  potenziellen Konsumnachfrage zu genügen, sodass eine Ausweitung der Kaufkraft für Konsumnachfrage erst einmal Inflation hervorrufen musste statt dass die Mittel in den Aufbau der Produktionskapazitäten geflossen wären. Sowohl kapitalistische als auch kommunistische Industriegesellschaften haben in dieser Industrialisierungsphase den Lohnabhängigen erst einmal Entbehrungen auferlegt ehe später die dann geschaffenen Kapazitäten einen gewissen Wohlstand für alle bereit stellen konnten.

Beim heute erreichten Entwicklungsniveau der industriellen Kapazitäten und Märkte ist das Prinzip 'erst Produktion, dann Konsum' obsolet geworden. Dem Angebot von Gütern und Diensten dient eine stabile stete Endnachfrage weit besser als aufgeschobener Konsum. Produktion und Konsum, richtiger gesagt, die verschiedenen Stufen der vertikalen und horizontalen Angebot-Nachfrage-Ketten, ebenso wie Erwerbsarbeitszeit und andere Arbeits- und Freizeiten, sind heute systemisch besser aneinander rückgebunden als in früheren Industrialisierungsphasen. Die Produktions- und Dienstleistungs-Kapazitäten sind groß und flexibel, umso mehr in globalisierten Produktions- und Handelsverflechtungen. Soweit es die altindustriellen Länder angeht, mag der Qualitätskonsum noch nicht saturiert sein, aber der Massenkonsum ist es.

Aus der mikroökonomischen Perspektive von Firmen, privaten und öffentlichen Haushalten bleibt die Unterscheidung von investiven und konsumtiven Ausgaben sinnvoll, selbst wenn die Zuordnung oft genug willkürlich sein mag. Auf der makroökonomischen Ebene jedoch relativiert sich der Unterschied zwischen produktiven und konsumtiven Ausgaben in einer Hochtechnologie- und Dienstleistungsgesellschaft fortschreitend. Das gilt für private und öffentliche Haushalte ebenso wie für Unternehmen. Angebot und Nachfrage sind untrennbar miteinander verwoben, gleich auf welcher Verkettungs-Stufe upstream oder downstream.

Außerdem, um auf die vermeintliche Notwendigkeit aufgeschobenen Konsums zurückzukommen, ist die Finanzierung von Produktion und Konsum in der entfalteten Kreditwirtschaft nicht mehr notwendigerweise von Ersparnissen abhängig wie in früheren Zeiten. Bei nicht ausgelasteten Kapazitäten kann sie ohne weiteres durch Schöpfung neuen Geldes stattfinden. Dieses Geld kann auf verschiedensten Wegen in Umlauf kommen. Es gibt keine mechanische Sequenz im Geldkreislauf. Es besteht von daher auch keine Notwendigkeit, obsolete Regeln aufrecht zu erhalten wie zum Beispiel 'Erst investieren, dann konsumieren' oder 'Erst private, dann öffentliche Verteilung'.

Um nicht missverstanden zu werden, sei gesagt, dass es hier um die  realwirtschaftlichen Verkettungen von leistungserbringendem Angebot und verbrauchender Nachfrage geht, nicht um die Frage, ob neues Geld zuerst in realwirtschaftliche Verwendungen fließen muss im Unterschied zu rein finanzwirtschaftlichen Geldanlagen. Die relevante Frage heute lautet in der Tat ob verfügbare Einkommen und neu geschöpfte Gelder realwirtschaftlichen Zwecken dienen oder ob sie BIP-disproportional in asset-inflationäre Geldanlagen fließen, die sich von der Realwirtschaft mehr oder weniger abgekoppelt haben. In dieser Frage gilt weiterhin: Neues Geld sollte ausschließlich in BIP-wirksame Ausgaben fließen, erst danach ggf auch in Finanzanlagen. Geld arbeitet nun einmal nicht, und der Wert des Geldes, seine Kaufkraft, beruht auf der Produktivität einer Wirtschaft. Finanzierung trägt zur Produktivität bei, soweit sie realwirtschaftliche Aktivitäten finanziert.

6. Ist das Finanzministerium oder die Zentralbank der bessere Arm der souveränen Geldhoheit?

Dass neues Geld vom Finanzministerium herausgegeben wird, so wie schon immer das Münzgeld, war bereits Bestandteil der 100%-Reserve-Pläne der 1930er. Bei Fisher zum Beispiel wurde die monetäre Amtsgewalt einer Währungskommission des Finanzministeriums zugeschrieben.[10]  In gewisser Weise entspricht dies der Verfassung der Vereinigten Staaten. Deren Artikel 1, Sektion 8, gibt dem Kongress das Vorrecht 'Geld zu münzen und seinen Wert sowie den Wert ausländischer Münzen zu regulieren.'  

Die Formulierung spiegelt den Sachverhalt wider, dass Währungen im Jahr 1787 im Prinzip noch Münzwährungen waren. Heutige Währungen beruhen dagegen auf unbarem Kontogeld. Münzen und Banknoten verlieren an Bedeutung und sind für die Geldordnung nicht mehr konstitutiv. Insofern wäre der Artikel der US Verfassung heute zu reformulieren. Demgegenüber ist heute so eindeutig wie damals, dass die US Verfassung die hoheitliche Geld-Prärogative dem Parlament überträgt, der Legislative, nicht der Regierung bzw dem Finanzministerium als Teil der Exekutive. Auch einer staatlichen Zentralbank (die es in den USA bis heute nicht gibt) wurde dieses Recht nicht übertragen, und natürlich erst recht nicht den Banken und einer von ihnen selbst betriebenen Zentralbank, wie die Federal Reserve of the United States es der Form nach ist. Jedoch übertrug der US Kongress der 'Fed' die Rolle der nationalen Währungs- und Geldbehörde im Jahr 1913.  In der Folge wurde die 'Fed' zwar in gewissem Umfang öffentlichem Recht unterworfen, aber sie blieb bis heute dennoch eine privatrechtliche Körperschaft.

Seit der Zeit des kolonialen Papiergeldes (colonial bills) im 18. Jahrhundert und der Dollar Greenbacks im 19. Jahrhundert, hat staatliches Geld in den USA einen gewissen patriotischen Charakter. Die Geschichte der amerikanischen Zentralbanken verlief dagegen bruchhaft und war ein ständiger Kampf zwischen der verfassungsgemäßen liberalen Demokratie und privater Bankenherrschaft.[11] 

In Europa sieht man die Rolle von Regierungen und Zentralbanken in Geldangelegenheiten etwas anders. Staatliche Geldschöpfung, oder staatliche Kontrolle der Geldschöpfung, wird mit Inflation und ruinierten Währungen in Verbindung gebracht und hat daher einen schlechten Ruf. Zentralbanken genießen als Währungshüter ein besseres Ansehen. Auch wurden die europäischen Zentralbanken im Verlauf des 20. Jahrhunderts zunehmend verstaatlicht. Sie wurden mit Aufgaben der Bankenaufsicht betraut und haben nach und nach den Charakter oberster staatlicher Währungs- und Geldbehörden angenommen. Außerdem wurde ihnen in währungs- und geldpolitischen Angelegenheiten eine zunehmende Unabhängigkeit von Weisungen der Regierung zugestanden. Sie sind von daher auf dem Weg, eine vierte Staatsgewalt zu werden, eine Monetative. Die Einführung des Euro hat diese Entwicklung verstärkt.

Vor diesem Hintergrund wird nachvollziehbar, dass amerikanische Geldreformer gegenüber Zentralbanken Vorbehalte haben. Ihnen ist es lieber, die monetären Souveränitätsrechte bei einem Organ unter dem Dach des Finanzministeriums anzusiedeln, wobei die US Verfassung und weitere Gesetze es dem Kongress in erheblichem Maß erlauben, den finanziellen Handlungsspielraum von Präsident und Finanzminister mitzubestimmen. Für europäische Geldreformer dagegen ist es naheliegend, die Ausübung der staatlichen Währungs- und Geldhoheit den Nationalbanken bzw der Europäischen Zentralbank zu übertragen.

Sowohl Amerikaner wie auch Europäer beabsichtigen eine unabhängige Ausübung der Geldhoheit, unabhängig von Regierungsweisungen wie auch von den partikularen Geschäftsinteressen der Banken und anderer Industrien. Wenn jedoch die Währungs- und Geldbehörde (money commission) als Teil des Finanzministeriums und getrennt von der Zentralbank handelt, was berechtigt einen dann zu der Erwartung, es könne sich um eine unabhängige vierte Staatsgewalt handeln, die, ähnlich wie die Gerichte, nur ihrem gesetzlichen Auftrag und professionellen Wissen verpflichtet ist?

Der Kumhof Plan steht in der Tradition regierungs-emittierten Geldes. Dem Finanzministerium, nicht der Zentralbank, wird die Rolle des Issuer of first instance und Lender of last resort zugeschrieben. Die Zentralbank behält zwar ihre Funktionen im Geld- und Zahlungsverkehr sowie im geldpolitischen Finetuning durch Offenmarktgeschäfte. Es ist jedoch das Finanzministerium, nicht die Zentralbank, die den Investment Trusts neues Geld leiht, und dem die Banken Zins und Tilgung schulden. Damit zieht das Finanzministerium klassische Zentralbankfunktionen an sich – und bereitet einer Fusion, Kon-Fusion in der Tat, von monetären und fiskalischen Zuständigkeiten den Weg. Dies erinnert an Zwei-Sektoren-Modelle der Saldenmechanik (privater und öffentlicher Sektor), in denen monetäre und fiskalische Funktionen unterschiedslos vermischt werden, ja verschwinden.

Damit macht sich der Kumhof Plan zur Zielscheibe neoklassischer und banking-doktrinärer Kritik der gröberen Sorte (Staat versus Markt, Bürokratie versus Bürgerfreiheit). Kumhof entgegnet dem, dass fraktionale Reservesysteme eine erheblich schlechtere Performance aufweisen als chartale Geldsysteme (staatliches Geld). Tatsächliche dürfte diese Behauptung den Test historischer Tatsachen bestehen. Wenn man historische Epochen vergleicht, in denen entweder die Banken oder staatliche Stellen die Geldmenge maßgeblich bestimmten, so ergibt sich für chartale Systeme eine durchwachsene Performance (mal besser, mal schlechter). Dagegen endet ein monetäres Bankenregime immer und überall in typischen Funktionsstörungen wie entweder Unterversorgung mit Geld und Kredit, oder aber, und meistens, überschießender Geldmengenerzeugung und damit in Inflation, Asset Inflation, Boom-und-Bust-Zyklen und Krisen.         

Aber selbst wenn sich das in vielen Fällen historisch belegen lässt, so ist die durchwachsene monetäre Performance von Regierung und Parlament, sozusagen als das kleinere Übel, nicht gerade eine überzeugende Option. Kumhof's Argumentation lässt die durch Klassenkampf und Kalten Krieg verballhornte Logik von 'Staat versus Markt' nicht hinter sich. Die Frage der Geldordnung erscheint so eher als ideologische Option, als Frage politischer Präferenz, statt als Frage ökonomischer Effektivität und Effizienz sowie als Frage institutioneller und funktionaler Gewaltenteilung und Machtbalance.        

Unter allen diesen Aspekten erweist sich das Erfordernis einer Währungs- und Geldbehörde, vorzugsweise einer unabhängigen staatlichen Zentralbank, die eine vierte Staatsgewalt, eine Monetative darstellt, und deren Aufgabe darin besteht, das Geld als gesetzliche Zahlungsmittel potenzialgerecht zu schöpfen, in Umlauf zu bringen und die umlaufende Geldmenge unter Kontrolle zu behalten. Die laufende Geldnutzung dagegen kann und soll den Marktkräften überlassen bleiben, institutionell gesprochen, den Banken, anderen Finanzinstituten, Unternehmen, privaten und öffentlichen Haushalten.

Currencytheorie beruht nicht nur auf der Trennung von Geld und Kredit, sondern auch auf der monetären Quantitätstheorie. Eine currencytheoretisch begründete Reform der Geldschöpfung darf sich nicht gezwungen sehen, Bankeninteressen nachkommen zu müssen, noch sich klientel-orientierten Partei- und Regierungsinteressen beugen zu müssen. 'Deficit spending' und 'functional finance' endeten in permant wachsendem Gelddrucken der Banken, um Regierungsschulden zu finanzieren, komplementär zum Gelddrucken der Banken zwecks Aufhebelung von Finanzanlagen. Würde eine Geldreform nichts weiter als Gelddrucken der Banken durch Gelddrucken der Regierung ersetzen, ginge man einfach nur vom Regen in die Traufe. Deutlich wird hier abermals die Notwendigkeit einer unabhängigen monetären Staatsgewalt, einer Monetative.

7. Modernes Geld braucht einen Mengenanker  

Die Überlegenheit der > Currencytheorie gegenüber der Bankinglehre beruht auf der historischen Erfahrung und systemanalytischen Einsicht, dass Geld- und Finanzmärkte auf Basis modernen Geldes bisher kaum 'effizient' funktionierten, weil modernes Geld Zeichengeld (fiat money) ist, das gleichsam aus dem Nichts in jeder gewünschten Menge von jedem erzeugt werden kann, der dazu autorisiert oder faktisch in der Lage ist. Im Ergebnis zeigt die Geschichte des modernen Geldes, dass die Märkte kein selbstbegrenzendes Gleichgewicht von Angebot und Nachfrage finden und nur durch schwere Krisen zu einer realistischeren Anpassung der Geldmengen und Finanzaktiva gezwungen werden.       

Die Primärkredit- und Giralgelderzeugung der Banken findet von sich aus kein selbstbegrenzendes Gleichgewicht, weil die prozyklische Nachfrage nach Geld selbstverstärkend ist, während das Geldangebot keinen Knappheits- oder Mengenanker besitzt – in Gold nicht mehr, und in der ökonomischen Produktivität (wie zum Beispiel im BIP erfasst) noch nicht. Der Preismechanismus, hier als Zinsmechanismus, wird so unterlaufen und ergibt keine verlässlichen Knappheitspreise. Unbegrenzte Kredit- und Schuldenaufnahme speist das globale Kasino ebenso wie immer höhere staatliche oder private Schuldenberge – die irgendwann nicht mehr bedient werden können und dann in Krisen münden.

In Anbetracht der allgemeinen Finanzialisierung ökonomischer Aktivitäten wäre es mehr denn je erforderlich, die Finanzwirtschaft in einer stabilen Geldordnung und einem stabilen Bankensystem zu verankern. Aber das Giralgeldregime, das fraktionale Reservebanking, und die darauf gründenden Kapitalmärkte sind systemisch außerstande, Stabilität zu gewährleisten. Eben deshalb besteht ein dringender Bedarf an einem institutionellen Arrangement, das imstande ist, die Geldmenge effektiv unter Kontrolle zu behalten und sie an das realwirtschaftliche Wachstumspotenzial zu binden. Dies war und ist eine Kernaufgabe der Zentralbanken, die sie jedoch nicht wirksam haben erfüllen können, da die immer dominantere Entwicklung des Giralgeldregimes der Banken die verfügbaren geldpolitischen Instrumente unterlaufen hat.

Die Hoheitsrechte (a) der Bestimmung der nationalen Währungseinheit, (b) der Ausgabe des Geldes in dieser Währung und (c) der Einnahme des damit verbundenen Geldschöpfungsgewinns bilden die monetären Prärogativen eines souveränen Staates. Die Geldhoheit und das Recht auf die Seigniorage sind heute faktisch an die Banken übergegangen, und auch die Währungshoheit dürfte verloren gehen, wenn die Politik nicht bald aus ihrer banking-doktrinären Hypnose erwacht.

8. Diskretionäre versus regelgebundene Geldpolitik

Die 100%-Reserve Autoren der 1930er, besonders Simons and Friedman, wollten eine regelgebundene Geldpolitik. Fisher dagegen trat für eine diskretionäre Geldpolitik ein. Der Kumhof plan ist regelgebunden: 'Das Wachstum der Geldmengen könnte direkt durch eine Geldwachstums-Regel bestimmt werden' (5, 10, 18).

Wie eine solche Regel lauten sollte, wird nicht erklärt, aber es wird auf Friedman verwiesen, der in dieser Sache eine ziemlich mechanische Regel vorsah: 'jährlich 4 bis 5 Prozent in den Vereinigten Staaten'.[12] Eine solche Regel wird den Realitäten der Wachstumsprozesse  nicht gerecht, oder aber sie beruht auf der ebenso unrealistischen Annahme, das Geldangebot sei der bestimmende zentrale Faktor des Wirtschaftswachstums. Modernisierungsprozesse, Strukturwandel und Wachstum stellen jedoch komplexe zyklische Realitäten dar, die weit über den monetären Aspekt, und auch weit über allgemeinere ökonomische Aspekte hinausreichen. Diesen Regeln kann man nicht mit einer einzigen und auch noch übervereinfachten Regel beikommen. Wenn schon, müsste es sich um eine ganz allgemeine Regel handeln, die flexibel auf veränderliche empirische Indikatoren zu beziehen wäre, etwa in dieser Art: Die Geldmenge muss sich vorlaufend am realen Wachstumspotenzial orientieren und diesem im Ergebnis proportional entsprechen.  

Der Unterschied zwischen einer diskretionären und regelgebundenen Geldpolitik könnte am Ende weniger trennscharf sein als es auf den ersten Blick scheint. Für jede Geldreform ist es jedoch von Bedeutung, sich darüber im Klaren zu sein, wie die als angemessen erachtete Geldmenge bestimmt und implementiert wird.

9. Monetäre und fiskalische Funktionen

Im Zusammenhang mit den bisher angesprochenen Aspekten, stellt sich ein weiteres, bereits gestreiftes Ordnungsproblem, und zwar das der Vermengung von monetären und fiskalischen Funktionen. Würde die Geldpolitik direkt starken fiskalischen Interessen unterliegen, wäre das Ergebnis gewiss ebenso schädlich wie das überschießende Giralgelddrucken der Banken. Originäre Seigniorage und Zinsseigniorage können und sollen durchaus der Staatskasse zufließen, in gleicher Weise wie die heutigen Zentralbankgewinne, nur dass die Seigniorage in einer Vollgeldordnung deutlich höher wäre. Aber die Entscheidungen darüber, wie hoch die Geldmenge zu sein hat und wieviel neues Geld jeweils erzeugt wird, darf einzig und allein monetären Kriterien folgen und muss von fiskalischen Interessen der Regierung und des Parlaments ebenso abgeschirmt sein wie von kommerziellen Privatinteressen. 

Regierung und Parlament dürfen keinerlei Mitbestimmungsrecht in monetären Fragen haben, so wenig sie bei Gerichtsverfahren und Gerichtsurteilen etwas zu sagen haben. Es wäre ein fataler Irrtum, die Geldschöpfung als einen großen Beitrag zur Staatsfinanzierung anzusehen, womöglich, wie manche kurzschlüssig unterstellen, als Ersatz für Steuern und Sozialbeiträge, oder um damit ein Grundeinkommen zu finanzieren, oder welche Lieblingsvorhaben Bürger und Politiker sonst haben mögen. Die öffentlichen Finanzen erfordern, wie weiter unten noch gezeigt wird, viel mehr Geld als aus einem potenzialgerechten Geldmengenzuwachs zur Verfügung stehen kann. Unabhängig davon wäre Staatsfinanzierung durch Geldschöpfung an und für sich ein ordnungspolitisch irreführendes Konzept.

Keynes' Haltung zur Quantitätstheorie war unmissverständlich: 'Diese Theorie ist fundamental. Ihre Übereinstimmung mit den Fakten steht nicht in Frage.'[13] Dennoch zeigen viele Keynesianer und Post-Keynesianer in Fragen der Geldmenge, der Quantitätstheorie und der Trennung von monetären und fiskalischen Verantwortlichkeiten eine überaus laxe Haltung. Dies gilt besonders für saldenmechanische Betrachtungen und insbesondere für die Modern Money Theory (MMT).

Wenn man, wie diese Ökonomen es tun, die Zentralbank, das Finanzministerium, das Parlament, Sozialversicherung usw. zu einem 'öffentlichen Sektor' zusammenpackt, ohne Unterscheidung von finanziellen und realwirtschaftlichen Transaktionen, geschweige denn monetären und fiskalischen Prozessen, und man von daher beginnt sich vorzumachen, Bankenkredit/Zentralbankkredit und Regierungsausgaben, Kredittilgung und Steuerzahlungen würde dasselbe bedeuten, dann scheint Konfusion Teil des Programms zu sein.[14] Dementsprechend werden die genannten Unterscheidungen als irrelevant abgetan. Auf diese Weise trägt die MMT unter den heutigen Bedingungen dazu bei, die Usurpation der Geldhoheit durch die Banken zu verschleiern. Nach einer Vollgeldreform würde die MMT vorhersehbarerweise dazu beitragen, die monetäre Prärogative den Fiskalinteressen von Regierung und Parlament zu unterordnen.

Die auf Dauer schrankenlose Giralgeldschöpfung der Banken führt zum Missbrauch dieses Privilegs durch Banken und Finanzmärkte. Die Einführung von Vollgeld ohne klare Trennung von monetärer und fiskalischer Gewalt würde zu staatlichem Missbrauch der Geldhoheit führen und, wie schon das Giralgeldregime, unsolide Staatsfinanzen begünstigen. Monetäre und fiskalische Angelegenheiten auseinander zu halten, ist ein notwendiges Stück Gewaltenteilung, eine unerlässliche ordnungspolitische Komponente im freiheitlichen Rechtsstaat.

10. Geldmengenpolitik versus Zinspolitik

In den 1980–90ern vollzogen die Zentralbanken einen Wechsel von der Geldmengenpolitik zur Leitzinspolitik. Die Geldmengenpolitik hatte sich faktisch als erfolglos erwiesen, und auch die Leitzinspolitik ist wenig wirksam, um die Bilanzenerweiterung und Giralgeldschöpfung der Banken unter Kontrolle zu halten.

Die Geldmengenpolitik stützte sich auf die sog. Reserve Position Doctrine.[15] Diese beruht auf einem unrealistischen Multiplikatormodell und der davon abgeleiteten Annahme, die Fähigkeit der Banken zur Giralgelderzeugung sei abhängig von der Reservenbereitstellung der Zentralbank. Diese Politik scheiterte, und zwar daran, dass die Initiative bei den Banken liegt. Im ersten Schritt erweitern die Banken ihre Bilanzen, und erst im nachhinein re-finanzieren sie sich mit Reserven und ggf Bargeld. Den Zentralbanken bleibt von daher nichts anderes übrig, als die Nachfrage der Banken zu bedienen, wenn sie den laufenden Betrieb nicht ins Stocken bringen wollen.

Die Zinspolitik bleibt aus gleichen Gründen weitgehend wirkungslos. Da die Banken proaktiv Tatsachen schaffen, ist ihre sich daraus ergebende nachträgliche Nachfrage nach Reserven und ggf. Bargeld nicht preiselastisch. Die fraktionale Refinanzierung muss kurzfristig erfolgen, sei es zu einem höheren oder geringeren Zins. Möglicherweise ergibt sich mittelfristig ein gewisser Rückkopplungseffekt. Aber auch dieser kann nur ein geringer Effekt sein, denn die insgesamt benötigten Reserven liegen in Europa nicht höher als bei etwa 4% der Zahlungsumsätze, in den USA bei etwa 11–12%.  Wie soll sich daraus ein bedeutender Transmissionseffekt auf 100% Giralgeld ergeben?

In einem Vollgeldsystem dagegen hätte die Zentralbank eine lückenlose Kontrolle über die Geldmenge und könnte so eine effektive Geldmengenpolitik betreiben, und dies durchaus flexibel mithilfe einer Reihe von geldpolitischen Instrumenten und Offenmarktpolitik, um Geld zu emittieren oder zu absorbieren. Wenn hierbei die Zentralbank Geldmenge und Wirtschaftswachstum in Proportion zueinander hält, wäre damit der dringend benötigte Mengenanker für das moderne Geld gelegt, nicht als mechanisch fixierte Geldbasis der Wirtschaft, aber als proportional stabile Geldbasis. Das würde per se dem gemäße Marktzinsen erzeugen. Zinspolitik ist heute faktisch eine Verlegenheitsreaktion, weil Mengenpolitik nicht funktioniert. Da Mengenpolitik in einer Vollgeldordnung aber funktionieren würde, lässt sich davon ausgehen, dass Zinspolitik keine wichtige Rolle mehr spielen würde.

Der Kumhof Plan zeigt sich in dieser Hinsicht etwas ambivalent:

Der Plan unterstellt nicht, dass das Finanzministerium sowohl die Geldmenge als auch den Reservenzins bestimmt, denn beides gleichzeitig wäre natürlich nicht möglich. Der Plan geht vielmehr davon aus, und dies ist möglich, dass das Finanzministerium sowohl die nominale Wachstumsrate der Geldmenge kontrolliert (à la Friedman) als auch den Zinssatz auf Reserven. … Der Reservenzins bestimmt die Geldmenge indirekt (pM).

Sofern das Finanzministerium keine Maßnahmen ergreift, um die Kreditvergabe der Banken zu begrenzen, lässt der Reservenzins für sich alleine den Banken viel Spielraum, den Gesamtumfang der Kreditvergaben selbst zu bestimmen. Tatsächlich handelt das Finanzministerium als Ersatzeinleger, der recht flexibel Depositen bereitstellt (pM).

Diese Art Überlegung klingt noch sehr nach der gegenwärtigen Kurzfrist-Zinsdoktrin im fraktionalen Reservesystem, obwohl man von einer 100%-Reserve wohl schon annehmen kann, sie würde mehr bewirken als eine 4%- oder 12%-Reserve.  

Ein Grund für die geldpolitisch etwas unentschiedene Haltung von Benes/Kumhof dürfte darin liegen, dass in ihrem Plan die Nachfrage von Investment Trusts nach Geld für Investmentkredit Vorrang vor allem anderen hat. Kurzfristig eine Wachstumsrate der Geldmenge sowie einen Zinssatz auf den entsprechen erforderlichen Reservenzuwachs festzulegen, erscheint an und für sich keine allzu schwierige, auf Marktdaten beruhende Aufgabe zu sein. Wenn jedoch der Geldmengenzuwachs von der Nachfrage der Investment Trusts bestimmt wird, könnte sich die Aufgabe doch als schwierig erweisen und möglicherweise zu einem erneuten Machtkampf zwischen Finanzministerium/Zentralbank und der Finanzindustrie führen.

Der Kumhof Plan zielt allem Anschein nach auf realwirtschaftliche Investitionen. Aber dies bleibt implizit. Unter den verschiedenen Regeln des Plans gibt es keine, wie mit der Frage realwirtschaftlicher Investitionen versus nicht-BIP-relevanter Investitionen umzugehen sei. Wäre das Finanzministerium tatsächlich verpflichtet, jeglicher Nachfrage nach Investitionskredit nachzukommen, würde vermutlich viel davon weiterhin in finanzielles Kasino-Investment fließen. Um das zu verhindern, müsste das Finanzministerium Maßnahmen der Kreditlenkung ergreifen. Da die Investment Trusts die Investitionsmittel beim Finanzministerium beantragen müssen, wäre es für das Ministerium sicherlich ein leichtes, die Verwendungszwecke zu bestimmen, für die Mittel bewilligt werden. Das wäre dann allerdings ein starkes Stück bürokratischer Zentralplanwirtschaft.             

Ein weiteres zinspolitisches Element im Kumhof Plan wäre das folgende: 'Mit den unterschiedlichen Liquiditätsgraden von Depositen würden unterschiedliche Zinssätze einhergehen. Dies würde möglicherweise auch negative Zinssätze für die liquidesten Guthaben beinhalten, wie bei Gesell vorgesehen' (6). Dies ist eine der Komponenten, die im ursprünglichen Chicago Plan nicht enthalten waren, wohl aber in Fisher's 100%-Geld.[16] Das wäre dann aber ein 100-minus-X-Prozent-Geld. Negativzins bleibt ein problematisches Instrument der Geldpolitik. Er bedeutet, ähnlich wie Inflation, eine bestrafungsartige Verringerung der Kaufkraft des Geldes. Er ermöglicht den Banken, ihren Margengewinn aufrecht zu erhalten. Indem er mit generell niedrigen Zinsen einhergeht, verringert er die Zinslast auf die staatlichen Schuldenberge. Gleichzeitig wirken Negativzinsen als Anreiz, Geld eher jetzt als später auszugeben. Insofern handelt es sich um einen konsumtiven Wachstumsstimulus. Auf Dauer wird sich das mit den organisch rückläufigen Wachstumsraten in fortgeschrittenen Industriegesellschaften kaum vertragen.

Absichtlich herbeigeführte Inflationsraten und Kaufkraftverluste stellen eine partielle Enteignung des Geldbesitzes der Leute dar. Man hat sich zu sehr daran gewöhnt, es nicht so zu betrachten. Unrecht bleibt es trotzdem. Allzu lange hat das Interesse an realwirtschaftlichem Wachstum dahinter stehende unproduktive Interessen verdeckt.

11. Schuldenabbau durch einmalige Übergangsseigniorage

Eine Reform der Geldschöpfung ersetzt Giralgeld durch Vollgeld. Der Kumhof Plan sieht vor, Giralgeld durch staatliches Geld vom Finanzministerium zu ersetzen. Im Prinzip sollte sich daraus einmalig eine Übergangs-Seigniorage ergeben, und zwar in Höhe der zu substituierenden Giralgelder – eine hohe Summe schon wenn man nur M1 (narrow money) einbezieht, eine sehr hohe Summe wenn wie bei Benes/Kumhof auch M2/M3-Guthaben (broad money) einbezogen werden. Diese Übergangs-Seigniorage stellt eine buchstäblich einmalige Gelegenheit dar, die öffentlichen Schulden zu einem großen Teil abzubauen. Im Kumhof Plan schiene die Seigniorage sogar so hoch, um damit auch private Schulden abzubauen:  

Da im Chicago Plan die Banken sich die benötigten großen Deckungsreserven vom Finanzministerium leihen müssen, erwirbt das Finanzministerium damit so hohe Kreditaktiva, dass die Staatsschuld einen Negativsaldo aufweist. Die Kreditaktiva, die wir als Staatskredit bezeichnen, stellen eine entsprechend hohe Seigniorage zu Gunsten der Regierung dar. Tatsächlich eignet sich der Staat mit einem Schlag die gesamte kumulierte Geldschöpfung wieder an, welche die Banken an sich gezogen haben und die der Summe aller ihrer Depositen entspricht (7). ...
Das Finanzministerium nimmt daraufhin eine partielle Ausschüttung der neuen Überschüsse vor, die es gegenüber dem Bankensektor aufweist (pM).

Sollte das tatsächlich so funktionieren? Nicht wirklich. Wenn das Finanzministerium die Mittel für die 100% Deckungsreserve den Banken überweist, dann kann es dieselbe Summe nicht noch einmal ausschütten. Ganz gleich wie man diesen Vorgang verbucht, insbesondere, ob man die Mittel passivisch als normale Verbindlichkeit verbucht oder als nationales monetäres Eigenkapital, wie Kumhof und andere Geldreformer es vorsehen, und egal ob der betreffende Staatskredit der erstmaligen 100%-Reserve oder anschließenden Aufstockungen dient, die betreffenden Mittel sind bei den Banken bzw Investment Trusts unmittelbar gebunden für den Zweck der Depositendeckung. Sobald die Mittel überwiesen sind, befinden sie sich im gebundenen Besitz der Banken und stehen dem Finanzministerium bzw der Staatskasse nicht ein zweites Mal zur Verfügung.

Die Annahme eines Negativsaldos der öffentlichen Schulden wäre unter den aktuellen Gegebenheiten wohl zutreffend, das heißt, dass die Banken dem Staat mehr schulden würden als der Staat Schulden hat. Dennoch würde das Geld als 1:1 Reserve in M1 und unter Banken zirkulieren, oder aber in M2/M3 brach liegen. Das Geld wäre da und dort, und auch in der Staatskasse, dann aber als Steuereinnahme, nicht als Seigniorage. Anscheinend ist hier eine Unklarheit bezüglich Verbuchung und Bilanzierung im Spiel. Wenn das neue Geld geschöpft wird, kann es als liquides Aktivum und als Eigenkapital eingeführt werden. Sobald die liquiden Aktiva jedoch den Banken bzw Investment Trusts übertragen werden, müssen die Mittel umgebucht werden – zum Beispiel als Kreditforderung gegen die betreffenden Banken und als Verbindlichkeit ihnen gegenüber.[17]  

Im Kumhof Plan würden die Banken zwar zunächst Reserven dadurch erwerben, dass sie Staatsanleihen und andere Wertpapiere in ihrem Besitz an das Finanzministerium verkaufen. Soweit es sich um öffentliche Schuldverschreibungen handelt, würden diese insoweit getilgt. Jedoch kann auf diese Weise nur der geringere Teil der erforderlichen Reserven erworben werden. Der verbleibende größere Teil müsste den Banken eben als unverbriefter Kredit ausgestellt werden, um als Deckungsreserve zu dienen. Für diesen Zweck bleiben die Mittel gebunden. Die Erwartung hoher staatlicher Eigenkapitalgewinne durch Aufstockung einer fraktionalen Reserve zu einer 100%-Reserve übersieht den Sachverhalt, dass diese Mittel zugewiesen und gebunden sind und bei solidem Finanzgebaren nicht 'monetisiert', das hieße ein zweites Mal  ausgegeben werden können.   

Abgesehen davon wird erkennbar, dass der Kumhof Plan an dieser Stelle monetäre und fiskalische Konten nicht sauber auseinander hält. Das erinnert einmal mehr an die öffentlich-private Saldenmechanik, bei der Zentralbank, Finanzministerium und andere öffentliche Stellen in ein einziges Konto 'konsolidiert' werden. Der öffentliche Sektor wird so zu einem 'schwarzen Loch', in dem monetäre und fiskalische, finanz- und realwirtschaftliche Transaktionen unterschiedslos verschwinden.

Die Einnahmen, die das Finanzministerium nach dem Kumhof Plan tatsächlich einnehmen würde, wären Zinseinnahmen – Zinsseigniorage – auf die Gesamtsumme der kreditierten Reserven. Das wäre freilich eine mächtige Summe. Sie würde sich nach Kumhof's Erwartung auf die Zinsen auf bis zu 180% des BIP belaufen, und diese Zinseinnahmen wären keine einmalige Übergangs-Seigniorage, sondern eine stehende Dauereinnahme. Freuen würde das freilich nur den Finanzminister, denn weit davon entfernt, ein Free Lunch originärer Seigniorage zu sein, wären diese Zinsen eine zusätzliche, sehr hohe Dauerbelastung für die gesamte Wirtschaft. Soweit es die erstmalige 100%-Reserve angeht, ist es zudem unwahrscheinlich, dass die Geldservicebanken diese Lasten überhaupt tragen könnten. Sie müssten sich ja ausschließlich aus Gebühren finanzieren, da Kredit- und Investmentgeschäfte ihnen untersagt wären. Investment Trusts wären ggf weniger schlecht dran, aber dennoch hoch zusätzlich belastet.

Bei Fisher beruhte die Erwartung einer Tilgung der Staatsschulden durch Übergang zu einer 100%-Deckungsreserve darauf, dass die Geldkommission alle Staatsschuldpapiere aus dem Besitz der Banken aufkaufen würde gegen die Reserven, die die Banken für eine 100%-Reserve (nur auf Sichtguthaben) benötigen.[18] Damals wäre diese Rechnung in etwa aufgegangen, denn die US Banken hielten anscheinend den größten Teil der öffentlichen Schuldverschreibungen in den USA. Saldenmechanisch gedacht hätten die Staatsschulden und ihr Erwerb durch die Geldkommission einander in etwa aufgehoben. Beide Seiten hätten übereinkommen können, die Forderungen der Geldkommission gegen das Finanzministerium und die Verbindlichkeiten des Finanzministeriums an die Geldkommission zu löschen. Heute jedoch ist der Besitz von Staatsanleihen im Portfolio der Banken zwar erheblich, aber doch viel zu klein, um genügend Deckungsreserven damit erwerben zu können, zumal, wenn M2/M3-Depositen einbezogen werden. Also könnte auf diese Weise heute nur ein geringer Teil der Staatsschuld getilgt werden.

Beim Vollgeldansatz nach Huber/Robertson ist das Verfahren, Giralgeld durch Vollgeld zu ersetzen und dabei einmalig die entstehende Übergangs-Seigniorage zu realisieren, ein anderes.[19] Bei diesem Ansatz gibt es keinen gesplitteten Kreislauf mehr, ebenso wenig Reserven und Sichtguthaben. Der Übergang erfolgt, indem die bisherigen Girokonten zu Geldkonten außerhalb der Bankbilanzen werden. Die bisherigen täglich fälligen Verbindlichkeiten der Banken an die Kunden werden zu Verbindlichkeiten an die Zentralbank, so als hätte diese von vornherein die betreffenden Mittel in Umlauf gebracht. Ab Umstellung tilgen die Banken die umdeklarierten Verbindlichkeiten in Höhe der alten Giroguthaben, fortlaufend nach Maßgabe fälliger Tilgungszahlungen von Kunden an die Banken, oder nach Maßgabe eines anderen ausgehandelten Arrangements; so lange, bis die alten Publikums- und Interbanken-Giroguthaben im Verlauf mehrerer Jahre auf null abgeschmolzen sind.

Die Zentralbank ihrerseits entscheidet, wieviel der getilgten Mittel sie zeitgleich erneut in Umlauf bringt, um eine potenzialgerechte Geldmenge zu gewährleisten. Dies kann langfristig auf dem Weg originärer Seigniorage an die Staatskasse erfolgen, oder, falls situativ erforderlich, per kurzfristigem Zentralbankkredit an betreffende Banken. Die Regierung sollte gesetzlich verpflichtet sein, die Übergangs-Seigniorage (zu unterscheiden von der Wachstums-generierten laufenden Seigniorage) dafür zu verwenden, nach und nach die öffentlichen Schulden zu tilgen. Gegen Ende der Übergangsphase wären auf diese Weise die Hälfte bis zwei Drittel der Staatsschuld verschwunden.          

Um zum Kumhof Plan zurückzukehren. Nehmen wir, entgegen der obigen Feststellungen, für den Moment einmal an, aus der Aufstockung zur 100%-Reserve entstünde doch eine Übergangs-Seigniorage. Der Plan würde dann folgendes vorsehen:

'Die Regierung hat die Wahl, einen Teil der Übergangsgewinne dafür zu nutzen, einen großen Teil privater Schulden zu tilgen. Dies kann erreicht werden, indem die Mittel als Bürgerdividende zugewiesen werden. Die Bürger werden gesetzlich verpflichtet, diese Mittel zur Tilgung aller ihrer privaten Schulden zu verwenden' (8) …
'Im einfachsten Fall würde es sich um Pro-Kopf-Zuweisungen handeln. Die Zuweisungen gehen auf ein Sonderkonto, von wo aus sie für zwei Zwecke verwendet werden müssen. Der erste Zweck besteht in der Pflichttilgung privater Schulden bei Banken' (30) ...
Soweit danach Geld übrig bleibt, 'besteht der zweite Zweck darin, die verbleibenden Mittel in Investment Trusts anlegen zu müssen, denn diese fungieren als Geld-Intermediäre, die nicht länger selbst Geld schöpfen können' (pM).

Keine dieser Komponenten war Bestandteil der ursprünglichen Ansätze einer 100%-Reserve. Gleiche Pro-Kopf-Zuweisungen erinnern eher an die wirtschaftsdemokratischen Ideen von C.H. Douglas aus den 1920er Jahren, wonach staatlicher 'social credit' als nationale Dividende an die Bürger fließen sollte.  Möglicherweise hat Douglas damit ältere Ideen aufgegriffen, als amerikanische Kolonien ab 1690 in Ermangelung britischen Geldes dazu übergingen, ungedeckte Kolonialnoten herauszugeben. In manchen Fällen, zum Beispiel in Maryland von 1733 bis 1751, geschah dies per Pro-Kopf-Dividende in Höhe von 30 Shillings für jeden Steuerzahler.[20]

In Maryland und bei Douglas konnten die Leute über das Geld frei verfügen. Die Regierung schrieb niemandem vor, wofür sein Geld zu verwenden sei (außer dass sie Steuern erhob). Im Kumhof Plan jedoch wird das Geld den Leuten zur Zwangsverwendung zugeteilt, eben um ihre Schulden zu tilgen und den Rest bei Kredit- und Investmentbanken anzulegen. Dies ist ein sehr dirigistischer, gleichsam obrigkeitsstaatlicher Aspekt des Kumhof Plans; sicherlich in wohlmeinender Absicht, aber dennoch fragwürdig, und außerdem auch funktional unnötig bezüglich der weiter oben kritisierten mechanischen Investitions-Konsumtions-Sequenz des Geldumlaufs. Die Regierung kann sich selbst dazu verpflichten, die ihr zugewiesene Seigniorage zum Abbau öffentlicher Schulden zu verwenden; sie soll jedoch nicht die Bürger dazu verpflichten dürfen, ihr Geld für bestimmte Zwecke ausgeben zu müssen.               

Im Zusammenhang der Tilgung von Schulden bleibt eine weitere Frage zu beantworten. Wenn ein großer Teil der öffentlichen und möglicherweise privaten Schulden getilgt wird, was würden die Gläubiger mit all dem zurückgezahlten Geld anfangen? Mit der Zeit entstehen sicherlich alternative realwirtschaftsbezogene Anlagemöglichkeiten, zum Beispiel als Fremd- und Eigenkapital auch für kleine und mittlere Unternehmen, in spezialisierten Fonds, einschließlich langfristiger Lebensweg-Anlagen für Ausbildung und Renten. Auf kurze Frist jedoch schiene anderes wahrscheinlicher, etwa neuerliche Spekulationsblasen, zum Beispiel in Immobilien, oder erhebliche Kapitalabflüsse in Auslandsanlagen.

Die ursprünglichen 100%-Reservepläne und der Kumhof Plan beinhalten keinen Mechanismus, um beim Übergang die überschießend vorhandenen Geldbestände zu reduzieren. Eine gewisse Verringerung der Geldmengen dürfte jedoch erforderlich sein angesichts der in den zurückliegenden Jahrzehnten weit überschießend erzeugten Giralgeldmengen, die letztlich vor allem in Asset Inflation flossen, in geringerem Maß auch in Verbraucherpreis-Inflation, und nur zum geringsten Teil in realwirtschaftliche Produktivitäts- und Einkommenszuwächse. Die vorübergehende Absorption überschüssigen Geldes durch Offenmarktgeschäfte der Zentralbanken stellt auf Dauer keine Lösung dar. Im Unterschied dazu gibt der Vollgeldansatz nach Huber/Robertson den Zentralbanken die Möglichkeit, zu entscheiden, wieviel der übergangshalber getilgten Mittel sie tatsächlich aus dem Verkehr ziehen, und wieviel sie zeitnah re-zirkulieren. Sie können 100 Prozent, aber auch nur 90, 80 oder 70 Prozent der alten Geldbestände dem Kreislauf wieder zuführen. 

12. Wird der Bedarf an Kredit in einer Vollgeldordnung zurückgehen?

Im Kumhof Plan ist das Finanzministerium stets gehalten, neue Mittel für Investitionskredit zu schöpfen. Noch nicht besprochen wurde in diesem Zusammenhang, dass im Kumhof Plan Investitionskredit die einzige Art von Kredit sein soll, die es überhaupt noch gibt. Durch die Pflichtverwendung der (irrtümlich angenommenen) Seigniorage an die Haushalte zur Schuldentilgung würden 'Hypotheken, Verbraucherkredite, Firmenkredite, nicht aber Investitionskredite getilgt werden. … Im Endergebnis gibt es nur noch Staatskredit für Investitionsdarlehen' (pM).

Es wird von daher angenommen, dass es danach künftig keine Hypotheken mehr gäbe, keine Verbraucher- und Unternehmenskredite, auch keine Staatsverschuldung, da Unternehmen, private und öffentliche Haushalte keine Darlehen mehr bräuchten.[21]  Kumhof trifft hier 'eine sehr weitgehende Aussage zum Thema Kredit, nämlich, dass der Bedarf an Kredit quer durch die gesamte Wirtschaft sehr stark reduziert wäre, weil Kredit nicht länger benötigt wird, um Geld zu erzeugen' (pM).

Zutreffend ist sicherlich, dass es keinen Primärkredit der Banken mehr gibt und dieser auch nicht benötigt wird, um eine BIP-proportionale Geldmenge bereit zu stellen. Primärer Staatskredit für Investment Trusts bleibt jedoch möglich, und ebenso jede Art von Sekundärkredit als Verleihen oder Investieren auf der Basis vorhandenen Geldes. Die Erwartung, es gäbe kaum noch Kredit, würde sich sicherlich nicht bewahrheiten. Relativ unabhängig davon, ob alte Schulden stark reduziert wären, und selbst wenn alles Geld schuldenfrei als originäre Seigniorage in Umlauf käme, haben öffentliche Haushalte, Unternehmen und Private stets einen gewissen Kreditbedarf, weil sie Vorhaben zu finanzieren haben, die über ihre laufenden Einnahmen weit hinausgehen.

Private können Ersparnisse einsetzen, aber nicht alle können dies, und nur selten im benötigten Umfang. Auch Unternehmen haben meist nicht ausreichend hohe Rücklagen und Rückstellungen. Die Regierung wirtschaftet von vornherein von der Hand in den Mund. Die Seigniorage aus der laufenden Geldschöpfung kann nur einen vergleichsweise geringen Beitrag zum Staatshaushalt erbringen. Zweifellos wird der Staat auch in Zukunft kostspielige Investitionen langfristig finanzieren müssen, zum Beispiel für Infrastrukturen in Bereichen wie Militär, Polizei, Justiz, Verkehr, Energie, Wasser, Umweltschutz, Gesundheit, Bildung, Kultur. So würden Regierungen auch in einer Vollgeldordnung oder einem 100%-Reservesystem in gewissem Umfang Schulden machen müssen.         

Der realwirtschaftliche Bedarf aller Wirtschaftsakteure an Fremd- und Eigenkapital wird wegen einer Geldreform nicht zurückgehen. Zurückgehen würde jedoch, vor allem bei den öffentlichen Haushalten, derjenige, rein finanziell verursachte Teil des Kreditbedarfs, der dazu dient, alte Kredite zu bedienen bzw alte Kredite bei Fälligkeit zu revolvieren. Relativ unabhängig davon, ob die Geldmenge primär aus Schuldengeld oder schuldenfreiem Geld besteht, wird Geld verleihen oder investieren immer stattfinden müssen, um die Wirtschaft am Laufen zu halten.

Was sich infolge einer Reform der Geldschöpfung in einem chartalen Geldsystem jedoch tatsächlich erwarten lässt, ist ein erheblich verringerter Umfang an kasino-artigen Finanzanlagen. Denn wenn das Geldangebot an den realökonomischen Mengenanker gebunden wird, kann die Spekulationskasse nicht fortwährend und selbstverstärkend mit billigem Geld gefüllt werden. Wenn die Nachfrage nach 'financial leverage' anzieht, müssen bei knappem Geld auch die Zinssätze dafür entsprechend anziehen. Das würde solche Investments erheblich teurer und riskanter machen als dies in den zurückliegenden Jahrzehnten der Fall war. Denn zugleich würden auch die Erwartungen an hohe Spekulationsgewinne eher früher als später enttäuscht, und wären nicht wie heute viel zu lange Zeit selbst-erfüllend – bis zum nächsten Krach.

Ein Gesundschrumpfen der Volumina an Finanzinvestments ist in der Tat so lange erforderlich, bis sie ein Niveau an Aktiva, Schulden und Zahlungsflüssen erreichen, das von der Realwirtschaft auch ohne Funktionsprobleme und Schäden getragen werden kann. Jenseits dessen gibt es jedoch keinen Grund, weshalb das Niveau von Finanzvermögen und Schulden in einem chartalen Geldsystem mutwillig weiter reduziert werden sollte. Auch und gerade in einem chartalen Geldsystem haben Banken und andere Finanzinstitute eine nützliche und sinnvolle Zukunft.

13. Wird eine Reform der Geldordnung das Zinsniveau und das Zinsvolumen anheben oder absenken? Gewinne der Banken

Gegen Geldreform-Vorschläge wird öfter der Einwand erhoben, sie würden zu einer Geld- und Kreditverknappung führen und das allgemeine Zinsniveau anheben. Hierbei wird gerne Geldknappheit und Kreditklemme miteinander verwechselt, weil im heutigen System Giralgeld durch Bankenkredit erzeugt wird. In einem chartalen Geldsystem aber kann Geld ebenso diskretionär erzeugt werden wie in einem Giralgeldregime, jedoch ohne an Kredit gebunden zu sein. Geldknappheit kann von daher ausgeschlossen werden; eine Kreditklemme nicht, da eine solche vom prozyklischen Verhalten der Banken und vieler anderer Marktteilnehmer abhängt.  

Der Einwand würde ohnedies nur Sinn machen, wenn man eine empirisch begründete Vorstellung davon hätte, wie groß die optimale, potenzialgerechte Geldmenge und wie hoch das dementsprechende potenzialgerechte Zinsniveau ist. Vielleicht dass Statistiker und Wirtschaftshistoriker eine Vorstellung davon entwickeln können. Dessen ungeachtet lässt sich aufgrund der zurückliegenden erheblichen Disproportionen zwischen dem Wachstum des realen und nominalen BIP, der monetären Aggregate und der Finanzaktiva gut begründen, dass die aktuellen Geldmengen, Schulden und Finanzaktiva viel zu hoch sind. Dementsprechend liegt auch das aktuelle Zinsniveau viel zu niedrig und muss erst wieder auf ein gewisses Normalniveau ansteigen, ehe es verlässliche Marktsignale liefern kann. Um wieviel zu hoch die Geldmengen sind und um wieviel zu niedrig das Zinsniveau, ist sehr viel schwieriger zu beantworten. Daran wird man sich finanzwissenschaftlich und geldpolitisch nach und nach herantasten.

Darüber hinaus kann die Befürchtung überhöhter Zinsen in einer Vollgeldordnung leicht entkräftet werden. [22] Es ist sehr einfach: Unter den heutigen Bedingungen zahlen die Banken bereits Habenzinsen auf alle Guthaben in M2 und M3 (im Prinzip auch auf Giralgeld) sowie Dividende aufs Eigenkapital. In einem Vollgeldsystem würden sie damit fortfahren, nichts weiter. Der Unterschied läge weder im Zinsniveau noch im Umfang der Zinszahlungen, sondern in ihrem Zweck. Im Giralgeldsystem zahlen die Banken (möglichst niedrigen) Habenzins auf Kundenguthaben, um die Guthaben in M2/M3 auf Frist stillzulegen und einer Abwanderung von Kundenkonten vorzubeugen. Das Bankensystem erzielt durch Kundeneinlagen unterm Strich keine zusätzlichen liquiden Aktiva, weder in bar noch in Deckungs- oder Überschussreserven. Die Banken benötigen davon auch nur sehr wenig, um Primärkredit auszustellen und den gesamten Zahlungsverkehr ihrer Kunden und ihren eigenen abzuwickeln. Die  Inaktivierung von Kundenforderungen gegen die Banken beugt Liquiditätsproblemen der Banken vor, die bei einer größeren Abwanderung nicht-inaktivierter Einlagen auftreten würde. Zugleich ermöglicht dies den Banken, neuen Primärkredit (zu möglichst hohen Zinsen) auszustellen oder neue Wertpapiere und vielleicht Immobilien zu erwerben. Wenn dagegen in einem Vollgeldsystem Kunden Geld bei einer Bank anlegen (Sparkonto, Terminanlage, Bankanleihe), dann stellen sie damit dieses Geld ihrer Bank tatsächlich zur Verfügung, so wie es heute noch auf die Einzahlung von Bargeld zutrifft. Vollgeld ist in der Tat ein Umlaufmittel, wie Münzen und Banknoten in der Tasche und wie ausgebuchtes E-Geld auf einer Geldkarte oder einem Handy.

Ein weiterer Aspekt ist hier zu berücksichtigen, und zwar der Unterschied zwischen dem Niveau der Zinssätze und dem Umfang der Zinszahlungen in Abhängigkeit vom Volumen zinstragender Aktiva bzw. zu verzinsender Schulden. Wie erläutert, dürften sich die zuletzt reichlich aufgeblähten Finanzaktiva und Schulden infolge einer Geldreform in gewissem Ausmaß zurückbilden. Dies bedeutet durchaus kein niedrigeres Zinsniveau, wohl aber ein verringertes Volumen an Zinszahlungen. Anders gesagt, der Anteil der Finanzeinkommen wird sich auf normalere Ausmaße wieder zurückbilden, während der Anteil der Arbeitseinkommen entsprechend wieder zulegt.

Dies gilt grundsätzlich auch für 100%-Reserveansätze und den Kumhof Plan. Was dagegen die Zinszahlungen an und von Banken betrifft, stellt sich die Sachlage für Vollgeld und 100%-Reserve verschieden dar. In einer Vollgeldordnung gibt es keine Reserven mehr, weder Deckungs- noch Zahlungsreserven, einfach nur Vollgeld in Form von Münzen, Banknoten, Kontogeld und E-Geld, die in einem einzigen integrierten Geldkreislauf von überall nach überall zirkulieren können. Die Banken benötigen daher keine Reserven und haben keine Zinsen darauf zu zahlen (dass sie dies schon heute kaum noch tun, weil sie von der EZB gar Habenzinsen dafür bekommen, gleicht einer weiteren Bankensubvention). Bei 100%-Reserve dagegen müssen diese Reserven zusätzlich zu dem schon Vorhandenen erzeugt werden, um die fraktionale Reserve in Höhe von 3–12 Prozent der Depositen auf 100 Prozent aufzustocken. Dies bedeutet, dass die Banken unter ordentlichen Bedingungen auf alle diese zusätzlichen Reserven entsprechend mehr Zinsen zu zahlen hätten. Dadurch würde sich das Gesamtvolumen an Zinszahlungen erhöhen.    

Ob sich deshalb auch das Zinsniveau erhöht, ist eine andere Frage, die von der Verfügbarkeit bzw Knappheit von Geld abhängt. Da in einem chartalen System Geld in jeder adäquaten Menge bereit gestellt werden kann, ist die Verfügbarkeit von Geld kein schicksalhaftes Faktum wie bei einem Goldstandard, eher schon ein gekonntes Artefakt. Es ermöglicht eine potenzialgerechte Geldmengensteuerung und darüber auch ein Inflations- und Asset-Inflationsziel nahe null sowie organisch sich ergebende Zinsniveaus. Zinsadministrierung sollte daher keine Rolle mehr spielen.

Im Kumhof Plan gibt es noch einen anderen Faktor, der Zinszahlungen in die Höhe treibt. Investment Trusts können herkömmliche Depositen nicht nutzen. (Diese liegen bei den Geldservicebanken brach). Also werden die Trusts vermehrt Sparbriefe, andere Anlagezertifikate, Anleihen und Aktien begeben. Kumhof zufolge notieren solche Finanzgüter   

'tendenziell  1 Prozentpunkt über den Einlagezinsen. Auf der anderen Seite, sobald die 100%-Reserve zu einer weitgehenden Verringerung der Schulden quer durch die Wirtschaft geführt hat, führt dies zu niedrigeren risikofreien Zinssätzen und zu geringeren diesbezüglichen Spreads. Nach unserer Einschätzung beläuft sich dieser Kostenvorteil auf etwa 2 Prozentpunkte. Unterm Strich würden die Finanzierungskosten fallen' (pM).    

Wie oben besprochen, würde eine gewisse Verringerung der Schulden und Vermögen eintreten. Es ist jedoch mehr als fraglich, ob diese wirklich 'sehr groß' wären im Sinne der Annahme, dass es kaum noch Schulden gäbe. Darüber hinaus ist es im Hinblick auf das Volumen fälliger Zinszahlungen keineswegs klar, dass höhere Zinszahlungen auf Reserven infolge der Aufstockung auf 100% wettgemacht würden durch höhere Einkünfte aus erhaltenen Zinszahlungen oder anderen Quellen. 

Bezüglich der Gesamtwirtschaft erschiene es vielleicht noch plausibel, dass der Rückgang der Zinszahlungen auf die Gesamtheit der Finanzaktiva größer ist als die Zunahme der Zinszahlungen der Banken auf die erhöhte Reservehaltung. Aber wer ist hier Gewinner und Verlierer? Auf der Gewinnerseite stehen die Realwirtschaft und die Arbeitseinkommen, auf der Verliererseite die Geld- und Finanzvermögen, wobei Gewinne und Verluste auf beiden Seiten ungleich verteilt sind. Heute sind Banken die Hauptnutznießer BIP-disproportionaler Geldmengen, Schulden und Finanzaktiva. Es wäre schon eine Überraschung, würden die Banken in einem chartalen Geldsystem weiterhin zu den Hauptnutznießern gehören. Selbst wenn die Banken in einem chartalen Geldsystem einträgliche Gewinnspannen realisieren (was sie in der Tat können und sollen), ist es unwahrscheinlich, dass sich dies weiterhin auf dem zuletzt vorhandenen sehr hohen Bestands- und Transaktionsvolumen abspielt. Folglich dürfte das Bankengeschäft so profitabel sein wie es immer war, aber es wird kein so großes Geschäft mehr sein, besonders was das hypertrophe Investment Banking angeht.   

14.  Zu erwartende Ergebnisse. Schlussfolgerungen

Der Kumhof Plan will gleiche oder ähnliche Ziele erreichen wie andere Ansätze der Geldreform. Den Berechnungen des erstellten DSGE Modells zufolge würden folgende Ziele erreicht:[23] 
1. Eliminierung von Bankruns
2. bessere Steuerung von Konjunktur- und Finanzzyklen, einschließlich besserer Inflationskontrolle
3. Abbau der Staatsschulden
4. Abbau der privaten Schulden.

Im Hinblick auf die Sicherheit des Geldes, insbesondere auch deponierten Geldes, und die Eliminierung von Bankruns hält der Kumhof Plan sein Versprechen vollauf. Zwar verhindert auch er keine Kapitalflucht im Krisen- und Ausnahmezustand – aber dies ist nur eine Feststellung, kein Einwand. In einem Vollgeldsystem ist Kontogeld ebenfalls absolut sicher. Einlagensicherungsfonds sind in beiden Systemen nicht mehr erforderlich.

Dagegen sind Gelder, die Kunden in Banken investierten (im Kumhof Plan in Investment Trusts), zum Beispiel in Form von Sparbriefen, Terminanlagen oder Bankanleihen, bei beiden Ansätzen einem normalen Risiko ausgesetzt. Dies sind immerhin Darlehen an Banken bzw Investitionen in eine Bank, nicht Depositen sensu strictu. Runs auf solche Geldanlagen in Form massiver Auflösungen bei Fälligkeit, möglicherweise in Zusammenhang mit Kapitalflucht, sind grundsätzlich möglich. Sicherungsfonds für solche Bankanlagen können daher in gewissem Maße weiterhin sinnvoll sein.

Was das Thema der Inflations- und Asset-Inflationskontrolle angeht sowie die Verstetigung von Konjunktur- und Finanzmarktzyklen, wäre der Kumhof Plan sicherlich wirksamer als Geldpolitik heute sein kann. Wie weit die Kontrolle tatsächlich ginge, bleibt jedoch offen. Um eine vollständige Kontrolle würde es sich nicht handeln. Der Grund dafür liegt darin, dass der Kumhof Plan keine lückenlose Kontrolle über die Geldmenge herstellt weil die Nachfrage von Investment Trusts nach Investitionskredit immer erfüllt werden muss. Diese Komponente wäre dem geldpolitischen Willen des Finanzministeriums entzogen, würde aber das Geldangebot maßgeblich bestimmen. Erhöhte Inflation, indirekt Asset Inflation, und gesteigerte Konjunktur- und Börsenzyklik bleiben von daher möglich.           

Bezüglich dieser Aspekte wäre eine Vollgeldordnung effektiver, denn sie gewährleistet eine lückenlose Kontrolle der Geldmenge. Dies könnte eine gewisse Kontrolle der Erstverwendung neuen Geldes mit einschließen, sollte es nach Möglichkeit jedoch nicht. Geldschöpfung durch die Zentralbank und Geldverwendung durch Regierung und Parlament, Banken, Unternehmen und private Haushalte sind in einem Vollgeldsystem grundsätzlich getrennt voneinander. Dies bedeutet keinen Mangel an Kontrolle, sondern gehört zur Gewährleistung der freiheitlichen Grundrechte im Rechtstaat und der Marktwirtschaft.

Was das Reformziel eines Schuldenabbaus angeht, bleibt es im Kumhof Plan, anders als postuliert, äußerst fraglich, ob dies überhaupt möglich wäre. Die geforderte 100%-Reservehaltung absorbiert das zusätzlich zu schöpfende Geld und steht daher für Schuldenabbau nicht ein zweites Mal zur Verfügung. Stattdessen würde der Kumhof Plan zur Abschöpfung einer sehr hohen und permanenten Zinsseigniorage auf Reserven in Höhe aller liquiden und ruhenden Gelder führen. Für Banken und Wirtschaft wäre dies eine entsprechend hohe Zusatzbelastung. Es ist fraglich, ob sich eine so hohe Zinsseigniorage überhaupt implementieren ließe.

Der Kumhof Plan besitzt einen gewissen etatistischen Zug. Er achtet nicht genügend auf freiheitlich-rechtsstaatliche Gewaltenteilung und Funktionentrennung. Im besonderen überträgt er klassische Zentralbank-Funktionen an das Finanzministerium und führt damit zu einer Verquickung von monetären und fiskalischen Funktionen.   

Dementsprechend ist der Plan auch ziemlich dirigistisch im Hinblick auf die hypothetisch vorgesehene Tilgung privater Schulden, indem er eine doppelte Zwangsverwendung der an Private zugeteilten Seigniorage vorsieht, nämlich erstens damit private Schulden zu tilgen, und zweitens einen möglichen Rest in einen Investment Trust zu investieren. Das letztere Element besitzt außerdem einen unnötigen Bias im Sinne neoklassischer und neo-österreichischer Produktionsmodelle (investieren vor konsumieren). In altindustriellen Entwicklungsstadien mit goldgebundenem Geld mag das einmal plausibel gewesen sein, in der heutigen Dienstleistungs- und Hochtechik-Wirtschaft aber nicht mehr.

Der Kumhof Plan überschätzt generell das Potenzial einer Geldreform zum Abbau der nationalen Gesamtverschuldung. Zugleich unterschätzt der Plan den in gewissem Ausmaß fortbestehenden Bedarf von Staat, Unternehmen und Privaten an Kredit, und damit Schulden. Das gilt außer für Investitionskredit eben auch für Baukredit und Hypotheken, für Verbraucherkredit, Überbrückungskredit und öffentlichen Kreditbedarf. Diese Bedarfe bestehen in jeder modernen Wirtschaft, und natürlich auch in einem Vollgeldsystem.

Das grundlegende Konstruktionsproblem des Kumhof Plans kann man im 100%-Reserveansatz als solchem sehen, also im Sachverhalt, dass es weiterhin Depositen und Reserven mit einem gesplitteten Geldkreislauf gibt. Der Plan zielt eigentlich auf ein Vollgeldsystem, verbleibt aber in den Formen und der Logik eines Reservesystems, zum Beispiel, Depositen zu 'decken', obwohl doch implizit die Deckungsreserve (die bisherige Mindestreserve) in eine Zahlungsreserve umgewandelt wird; liquide in M1 und auf Frist stillgelegt in M2/M3.  

In einem Reservesystem befindet sich das Geld der Kunden weiterhin zusammen mit allen anderen Bankgeschäften in ein und derselben Bilanz. Auch wenn Kundenguthaben (Passiva) und dazu gehörige Reserven (Aktiva) 1:1 als Paar 'sterilisiert' werden, bleiben die Reserven Eigentum der Bank und die Depositen eine Verbindlichkeit der Bank an den Kunden. Die Kunden wären weiterhin nicht im Vollbesitz ihres Geldes wie wenn sie Bargeld bei sich haben (das nicht mehr Teil der Bankbilanzen ist).

Der Kumhof Plan synchronisiert sozusagen die Schöpfung und den Fluss von Reserven und Depositen, ohne jedoch den Split zwischen beiden aufzuheben, also ohne sie in eine einzige Geldmenge M zu integrieren, die ausschließlich als liquides Aktivum zirkuliert, und unter allen Akteuren in gleicher Weise zirkuliert, egal ob es sich um Banken oder Nichtbanken, Regierungs- oder Nichtregierungs-Akteure handelt.   

Depositen stellen im Kumhof Plan reguläre Depositenkontrakte dar. Reguläre Depositen werden vom Treuhänder verwahrt und auf Verlangen des Einlegers wieder herausgegeben oder anderswohin transferiert. Für eigene Zwecke des Treuhänders sind Depositen nicht verfügbar. Und doch werden sie im Kumhof Plan insofern als irreguläre Depositenkontrakte behandelt, als sie Habenzins tragen sollen. Wie in Abschnitt 2 besprochen, könnte das aber nur der Fall sein, wenn das Finanzministerium, statt Sollzins auf Reserven zu verlangen, dafür Habenzins zahlen würde. Die Banken könnten diese dann zur Gänze oder zum Teil an ihre Kunden weiterleiten. So oder so würde dies bedeuten, Geld zu schöpfen, um Geldbesitzern Zinsen zu zahlen. Dass die EZB heute den Banken auf ihre Mindestreserven einen Habenzins zahlt, steht in Widerspruch zum vermeintlichen Sinn und Zweck dieser Mindestreserven. De facto handelt es sich um eine Subventionierung der Banken. Umso weniger einleuchtend wären Habenzinsen auf eine zu 100% aufgestockte Reserve und Kundenguthaben bei 100%-Reserve.

Trotz der Reihe von Fragen, die verschiedenste Aspekte des Kumhof Plans aufwerfen, handelt es sich gleichwohl um ein chartales Geldsystem. Alles Geld würde an der Quelle auf staatlichen Zahlungsreserven beruhen, die als unbares Kontogeld oder als Bargeld und E-Geld weiter benutzt werden können. Die heutige Giralgeldschöpfung der Banken wäre durch die Aufstockung der fraktionalen Reserve zu einer 100%-Reserve faktisch unterbunden. Auch in Sachen Geldreform gilt anscheinend, dass viele Wege nach Rom führen. Die Kumhof Version des Chicago Plans ist einer dieser Wege – die gewählte Route ist freilich nicht gerade die nächstliegende.  

 

Literatur

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Häring, Norbert 2013: The veil of deception over money: how central bankers and textbooks distort the nature of banking and central banking, real-world economics review, no. 63, 2013. 

Hart, Albert G. 1935: The Chicago Plan of Banking Reform, The Review of Eco­no­mic Studies, 2 (1935) 104–116, reprinted in: Friedrich A. Lutz/Lloyd W. Mints (Eds.) 1951: Readings in Mone­ta­ry Theo­ry, Home­wood, Ill.: Richard D. Irwin, 437–456.

Hixson, William F. 1993: Triumph of the Bankers, Westport, CT/London: Praeger.

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Huerta de Soto, Jesús 2006: Money, Bank Credit, and Economic Cycles, Auburn Al.: Ludwig von Mises Institute.

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Kotlikoff, Laurence J. 2010: Jimmy Stewart is Dead. Ending the World's Ongoing Financial Plague with Limited Purpose Banking, Hoboken, NJ: Wiley.

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Zarlenga, Stephen A. 2002: The Lost Science of Money. The Mythology of Money – the Story of Power, Valatie, NY: American Monetary Institute.

 

Anmerkungen

[1] Dieser Text bezieht sich auf die überarbeitete Version von 2013. Siehe Bibliographie. Die Zahlenangaben in Klammern nach Zitaten sind Seitenangaben zu dieser Version. Die Zitate sind eigene Übersetzungen aus dem Englischen. Sofern Zitate mit (pM) enden, beziehen sich diese Zitate auf persönliche Mitteilungen Kumhof's vom September 2012. Zwar ist dies eine unübliche Praktik, die von Dritten nicht überprüft werden kann, aber der betreffende Gedankenaustausch trug wesentlich zur Klärung bestimmter Aspekte bei.

[2] Hart 1939, Simons 1948 [1936], Friedman 1948, 1959, 1969.

[3] Fisher 1935, Douglas et al. 1939, Phillips 1995.

[4] Bindseil 2004, Häring 2013, Huber 2014.

[5] Europäische Zentralbank, Monatsberichte, Tabellen 2.3, 5.2.

[6] Cf. Huerta de Soto 2006, Kapitel 1–2.

[7] Die Bundesbank hat zu ihrer Zeit den Banken nie Zinsen auf Reserven gezahlt. Die EZB, unstimmigerweise, tut dies.

[8] Simons 1948 [1936], Fisher 1935, Allais 1988 [1977].

[9] Kotlikoff 2010.

[10] Vermutlich hat Fisher hier Silvio Gesell's Einrichtung eines Währungsamtes übernommen. Bevor Fisher den Ansatz des 100%-Geldes entwickelte, unterstützte er eine Gesellianische Freigeld- bzw Schwundgeld-Reform. Die Option einer 'Umlaufsicherung' in Form eines Negativzinses ist in Fisher's Ansatz weiter enthalten, wenn auch, und zu Recht, nur beiläufig.   

[11] Zarlenga 2002, Kapitel 14–20.                      

[12] Friedman 1969 38, 47.

[13] Keynes 1923 74.

[14] Vgl Huber 2014

[15] Bindseil 2004, Häring 2013.

[16] Fisher 1935, Kapitel VI, Unterkapitel 4.

[17] Es gibt diesbezüglich auch andere Buchungs- und Bilanzierungs-Optionen. Siehe dazu die Beiträge von Gudehus und Mayer auf vollgeld.de/papers-und-manuskripte-zur-vollgeldreform/.

[18] Fisher 1935, Kapitel XI.

[19] Huber/Robertson 2000, Kapitel 1 und 3.

[20] Hixson 1993 56.

[21] Vgl. Benes/Kumhof 2012, Anhang Abb. 3, Post-Transition 2, Seite 81.

[22] American Monetary Institute, Entwurf eines US NEED Act (http://www.monetary.org/american-monetary-need-act), Positive Money UK (http://www.positivemoney.org/our-proposals), MoMo Switzerland (www.vollgeld.ch), Monetative Germany (www.monetative.de), Huber/Robertson 2000.

[23] Benes/Kumhof 2012 4, 51, 55.

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Inhalt

1. Einführung

2. Der Kumhof Plan soll einen Vollgeldansatz repräsentieren, verbleibt aber in der Form und Logik eines Reservesystems mit gesplittetem Geldkreislauf

3. Der Kumhof Plan bezieht alle Depositen in M1–M3 ein, nicht nur liquide Sichtgut­haben in M1, schließt aber Darlehen von Nichtbanken an Geldservice-Banken aus

4. Wie erhalten Banken im Kumhof Plan 100% Reserven und verleihbare Mittel? Vorgesehene Arten von Banken. Neues Geld als Schuldengeld oder schuldenfreies Geld?  

5. Inumlaufbringung von neuem Geld. Reichweite einer Reform der Geldordnung

6. Ist das Finanzministerium oder die Zentralbank der bessere Arm der souveränen Geldhoheit?

7. Modernes Geld braucht einen Mengenanker

8. Diskretionäre versus regelgebundene Geldpolitik

9. Monetäre und fiskalische Funktionen

10. Geldmengenpolitik versus Zinspolitik

11. Schuldenabbau durch einmalige Übergangsseigniorage

12. Wird der Bedarf an Kredit in einer Vollgeldordnung zurückgehen?

13. Wird eine Reform der Geldordnung das Zinsniveau und das Zinsvolumen anheben oder absenken? Gewinne der Banken  

14.  Zu erwartende Ergebnisse. Schlussfolgerungen

Literatur

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