Kann Vollgeld nicht Schritt für Schritt 'von unten' eingeführt werden, zum Bei­spiel indem eine Bank 'Vollgeld'-Konten einführt, andere dem folgen usw?

Mit Vollgeld i.e.S. ist dies nicht möglich. Allenfalls wäre etwas Näherungsweises in Form einer individuellen 100%-Reserve denkbar – bei hohen Kosten, ohne allgemeinen Nutzen, und wohl etwas zu viel Idealismus.

Vollgeldkonten i.e.S. sind für Kunden bei Banken unter den gegebenen Bedingungen nicht möglich. Ein herkömmliches Girokonto kann nicht per Beschluss einzelner Banken als Vollgeldkonto geführt werden. Das geht schon rein buchungs- und bilanztechnisch nicht. Vollgeld ist Zentralbankgeld. Ein Vollgeldkonto hätte man heute, wenn man ein Konto bei der Zentralbank hätte. Aber für Privatpersonen und Firmen führen Zentralbanken keine Konten mehr. Würden sie damit wieder beginnen, auf freiwilliger oder gesetzlicher Basis, käme es zu einer massiven 'Sphärenverschiebung' von Bankkonten zu Zentralbankkonten, also von Giralgeld zu Vollgeld. 'Zentralbankkonto für alle' ist in der Tat einer der Wege, eine Vollgeldreform herbeizuführen. Allerdings würde dies immense Verwerfungen beinhalten insoweit die Zahlungs- und sonstige Geldservice-Infrastruktur der Banken obsolet gemacht würde (hohe sunk costs) und bei der Zentralbank in gleichem Umfang erst aufgebaut werden müsste. Vollgeldreform geht auch einfacher, konstruktiver und ohne unnötige Kosten.

Jedoch könnten einzelne Banken folgendes tun. Sie könnten für jedes Giroguthaben einen gleich hohen Reserve­betrag auf ihrem Betriebskonto bei der Zentralbank vorhalten. Die Kunden hätten damit zwar noch kein Vollgeldkonto, aber es bestünde 'full reserve', seit den 1930er Jahren auch bekannt als 100%-Banking oder 100%-Money – Vorläufer des Vollgeld-Ansatzes.

Möglicherweise würde die Zentralbank sich auch darauf einlassen, die einem Kontokorrent zugeordneten Reserven auf einem eigens dafür eingerichteten zusätzlichen Zentralbank-Konto einer Bank zu führen, oder auf einem Unterkonto des Betriebs­kontos der Bank. Damit würde das Geld der Kunden vom Geld der Bank buchungs­technisch getrennt – noch ein Schritt hin zu einem echten Vollgeldsystem, in dem der Zahlungsverkehr einer Bank und der Zahlungsverkehr ihrer Kunden getrennt voneinander, und letzterer außerhalb der Bankbilanz geführt werden.

Freilich müssten Banken und Kunden, die ein solches 100%-Reserve-Arrangement aus einem gewissen Idealismus heraus mitmachen, bereit sein, einen hohen Preis dafür zu zahlen. Denn im Vergleich zu normalen Banken, die im statistischen Durchschnitt nur 3,5–12 Prozent der Giralgeldbestände in bar und als Zahlungsreserven (Überschussreserven) benötigen, wäre eine 100%-Bank, die ja 100% passive Reservehaltung finanzieren muss, in einem erheblichen Kosten- und Wettbewerbsnachteil. Denn sie muss diese 100% Reserven zusätzlich zu den Habenzinsen aufbringen, die Banken ohnedies aufzubringen haben. Ihre Kunden müssten also bereit sein, diesen Nachteil, soweit überhaupt möglich, in Form von weniger bis null Habenzinsen auf sich zu nehmen. Aber ein Geschäftsmodell, das zu viel Idealismus voraussetzt, funktioniert auf Dauer nicht. Vor allem wäre es in der Breite der Privat- und Firmenkunden nicht anschlussfähig. So bliebe es wohl bei einer teuren kleinen Spielwiese ohne Auswirkungen auf Finanz- und Realwirtschaft. Der einzige Nutzen wäre, dass die Giroguthaben der Betreffenden sicher, weil durch Zentralbankgeld gedeckt wären. Es wäre dies aber ein teuer erkaufter Individualnutzen, der in einem echten Vollgeldsystem 'einfach so' und ohne Mehraufwand zu haben ist.


Es gibt zu diesem Thema neue Meinungen und neue Ansätze. Siehe auf dieser Website > Schrittweise Einführung von Vollgeld