3.6       Zinslenkung der Finanzwirtschaft

Nach einer Vollgeldreform wie hier dargelegt erfolgt die Geldschöpfung nur noch zum geringsten Teil per Zentralbank-Kredit und zum größten Teil durch originäre Seigniorage. Das Geld (i.S. der Geldmenge oder der Geldbasis) ist damit überwiegend nicht mehr Teil der Zinswirtschaft. Eine Vollgeldbasis, als die zirkulierende Geldmenge, bildet einen im wesentlichen schuldenfreien Bestand, der weder verzinst wird noch zu einer bestimmten Fälligkeit getilgt werden muss.

Darüber hinaus jedoch, also in den Bereichen der Kreditwirtschaft und des Investmentbanking, kann die Zinslenkung der Finanzwirtschaft weiterbestehen. Die Zinskritik hat eine lange und teilweise berechtigte Tradition. Zinsen können in wirtschaftlicher und sozialer Hinsicht unter Umständen zum Problem werden. Aber keine Zinsen sind auch ein Problem. Eine nicht-bürokratische Alternative zur Zinslenkung der Finanzwirtschaft ist offenbar nicht vorhanden. Im Islamic Banking mag es zwar keinen Zins im üblichen Sinn des Wortes geben. Gleichwohl erfolgt auch hier die Geldallokation nach der vereinbarten oder erwarteten Rendite eines Darlehensgeschäfts oder einer Geldanlage.    

Es liegt in der Natur einer Vollgeldordnung, dass sie Verzinsung und Wachstumszwang von sich aus nicht induziert. Der Zinseszinsmechanismus übt einen Wachs­tumsdruck aus, eine schuldenfreie Vollgeldbasis nicht. Sie wäre auch mit Nullwachstum vereinbar. Eine Vollgeldordnung ist deshalb in langfristiger Perspektive geeignet für den Übergang aus der heute noch anhaltenden Wachstumsdynamik zu einem reiferen Entwicklungsabschnitt der modernen Wirtschaft, in der sich der transsäkulare Übergang aus der traditionalen in die moderne Gesellschaft allmählich vollzogen haben und die Wachstumsdynamik dieses Übergangs ausklingen wird. Freilich wird in einer stationär oszillierenden Wirtschaft auch keine nennenswerte Seigniorage mehr fällig.